Aus dem Bedürfnis, eine eigene, dem sozialistischen Gedanken entsprechende Definition von Kulturerbe zu schaffen, trennte sich der Arbeiter- und Bauernstaat durch eine „Geschichte der Produktivkräfte“ vom Narrativ klassischer Kunst- und Architekturgeschichte ab. Mit dieser „Erbeaneignung“(SB)** weitete sich der Blick, im übertragenen Sinne, vom barocken Lustschlösschen des Hochadels hin zum Förderturm des Kohlebergwerks und dem Alltag des Arbeiters.

Einer der führenden Köpfe dahinter war der parteikonforme Wirtschaftshistoriker Dr. Eberhard Wächtler. Von seinen westlichen Kollegen, nicht ganz unbeeindruckt als sozialistische Dampfwalze betitelt, war er der richtige Mann, um auch auf internationalem Parkett den fortschrittlichen Umgang mit Kulturerbe zu propagieren. Der Denkmalschutz war, ähnlich der Leistungsschau in internationalen Sportwettkämpfen, ein Instrument des Kalten Krieges und wurde in der DDR, zumindest auf dem Papier, als bedeutende kulturelle Maßnahme begriffen. 1975 brachte die DDR mit ihrem neuen Denkmalschutzgesetz ein vorbildliches und international beachtetes Programm heraus. Bei Treffen des ICOHTEC (International Committee for the History of Technology) waren die Mitglieder der DDR-Delegation „die ungekrönten Könige“ – niemand sonst hatte bis dahin einen Schutzbedarf für Technische Denkmale in einem offiziellen Statut seines Landes durchsetzen können.

*SB = Dr. Sabine Bock. Alle Zitate in diesem Kapitel stammen aus dem unveröffentlichten Online-Interview vom 09.01.2022 mit Frau Dr. Sabine Bock.

**diese Begrifflichkeit wird hier nicht, wie heute gelegentlich in öffentlichen Diskussionen, als negativ verstanden, sondern als politisches Statement zur Sichtbarmachung eines sozialistischen Blickwinkels auf Geschichte.