Weltreich & Provinz

Der Streit um das Laurentius-Haupt

Die niederrheinischen Gebiete des römisch-deutschen Reichs, obgleich zu diesem Zeitpunkt neutrale Gebiete, wurden immer wieder Schauplatz von Scharmützeln, aber auch marodierenden Armeen und Söldnerhorden. Schon im ersten Jahr richtete Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg (1516–1592) Beschwerde an den spanischen König über Schäden in seinem Land. Es folgten Jahre mit schwerwiegenden Überfällen, so 1573 im Jülicher Amt Kaster (Raum Bedburg), 1575 in Ravenstein, 1578 im Amt Brüggen und in der Unterherrschaft Heiden 1579. Die spanische Garnison in Roermond war besonders umtriebig.

Durch das Mönchengladbacher Umland zogen immer wieder Truppenverbände oder quartierten sich bei der lokalen Bevölkerung ein. Besonders die zahlreichen befestigten Häuser hier in der Region luden Spanier wie Niederländer zu militärischen Aktionen ein, in der Hoffnung eine strategisch gute Stellung gegen den Feind einzunehmen: Anfang April 1581 kam es daher u. a. zur Eroberung und Plünderung der Burg Ingenhoven bei Nettetal durch niederländische Truppen.

Auch in der Unterherrschaft Rheydt war man sich der ständigen Gefahr weiterhin bewusst: Im November 1582 wies der Schlossherr Otto von Bylandt, der zu dieser Zeit in erheblichen Streitigkeiten über Rechte und Pflichten mit seinen Untertanen verwickelt war, diese erneut auf die Gefahr marodierender Söldner hin. Händler auf dem Weg zum Mönchengladbacher Markt hatten von unbewachten Straßen und Schlagbäumen berichtet. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Ereignisse, insbesondere der Widerstand der Gladbacher Mönche, umso erstaunlicher:

Der Streit um das Laurentius-Haupt

Über einen Zeitraum von fast 60 Jahren drängten zahlreiche einflussreiche Feldherren und Fürsten die Gladbacher Abtei zur Herausgabe der hier aufbewahrten Reliquie: Entweder im Dienste Philipps II. und Philipps III., oder in der persönlichen Hoffnung, die Freundschaft oder den Schutz der mächtigen Spanier zu erlangen. Jedoch blieben alle Mühen erfolglos und die Abtei von Gladbach befindet sich auch heute noch im Besitz dieser Reliquie.

Laurentius von Rom war im 3. Jahrhundert n. Chr. römischer Diakon und für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens zuständig. Nach der Hinrichtung von Papst Sixtus II. auf Befehl Kaiser Valerians im Zuge einer Christverfolgung, ließ dieser Laurentius foltern, um die Herausgabe des Kirchenschatzes zu erpressen. Laurentius weigerte sich und starb der Erzählung nach auf einem glühenden Rost. Für die spanischen Könige war die Verehrung dieses Heiligen seit der gewonnenen Schlacht bei Saint-Quentin am Laurentiustag 1557 gegen die Franzosen Staatsräson und wurde sogar mit einer nach ihm benannten Kloster- und Schlossanlage, der Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial, architektonisch festgehalten.

Als im Jahre 1597 die Verhandlungen um das Haupt eskalierten, sahen sich die Gladbacher Mönche bereits seit rund 30 Jahren dem ständigen Drängen des spanischen Königs ausgesetzt. König Phillip der Zweite, und alle die, die hofften, die Reliquie in eigener Sache an die Spanier weiterzureichen, hatten auch allen Grund die Sache nicht ruhen zu lassen: 1570  hatte der damalige Gladbacher, Abt Peter von Bocholtz, immerhin einer Übereignung der Reliquie zugestimmt, für rund 15.000 Gulden. Doch der Abt starb vor dem Abschluss der Verhandlungen.

Die folgenden Äbte sahen sich nun von allen Seiten enormem Druck ausgesetzt und jede Entscheidung und jedes Hinauszögern bedeutete harsche Konsequenzen: Papst Clemens VIII.  befahl unter Strafandrohung die Herausgabe, auch Kaiser Rudolf II. erwartete eine Übereignung an die Spanier. Jedoch wurde mittlerweile der Verkauf der Reliquie durch den Kölner Erzbischof verboten und durch den Benediktiner-Orden abgelehnt. Auch der Jülicher Herzog, immerhin der Landesherr der Abtei, wollte die Reliquie selbst in Besitz nehmen, um sie „sicher zu verwahren“.

1597 wurde dann alles noch schlimmer: Der Jülicher Herzog hatte nun den Mönchen aufs Schärfste verboten, überhaupt zu verhandeln. Wie auch im Falle der Erzbischöfe von Köln war das Interesse gewachsen, selbst den Handel einzufädeln. Die eingeleitete Exkommunikation durch den Papst konnten die Gladbacher Mönche nicht mehr ignorieren und mussten letztlich in Köln mit dem päpstlichen Nuntius und dem spanischen Feldherren Mendoza verhandeln. Währenddessen traf ein Schreiben aus Jülich in der Abtei ein: Sollte die Reliquie herausgegeben werden, verweise man die Mönche des Landes.

Eine kurz darauf erfolgte Besprechung zwischen dem Gladbacher Abt und den herzoglichen Räten konnte den Konflikt zwischen Landesherren und Abtei beilegen: Bis zum Tode des letzten Herzogs von Jülich-Kleve-Berg im Jahr 1609 konnte die Abtei sich in dieser Sache auf dessen Schutz berufen. In den folgenden zwei Jahrzehnten, bis zur letzten dokumentierten Bitte durch die spanische Statthalterin der Niederlande, Isabella Clara Eugenia, bewiesen die Gladbacher Mönche erstaunliche Beharrungskräfte und konnten so, diese bedeutende Reliquie bis heute bewahren.

2021-11-10

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