Weltreich & Provinz

Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit von 1609 bis 1614

Am 25. März 1609 verstarb Herzog Johann Wilhelm I. von Jülich-Kleve-Berg (1562–1609) ohne eigene Kinder.

Kaiser Rudolf II. ging davon aus, dass der Territorienverbund Jülich-Kleve-Berg(-Mark-Ravensberg-Ravenstein) als erledigtes Reichslehen an ihn zurückfiele und von ihm entsprechend neu vergeben werden konnte. Hingegen erhoben sowohl der Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg (1572-1619), als auch Herzog Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg (1547-1614) ihrerseits Ansprüche auf die Erbmasse, da beide qua Heirat mit dem Herzogshaus Jülich-Kleve-Berg verbunden waren.

Die beiden Fürsten schickten ihre Gesandten durch die strittigen Gebiete und nahmen Landstriche, Städte und Festungen für sich in Anspruch. Währenddessen belehnte Kaiser Rudolf II. noch im Jahr 1609 Kurfürst Christian II. von Sachsen (1583-1611) mit den Vereinigten Herzogtümern. Dieser hielt sich aber geflissentlich aus diesem Konflikt heraus. Die Ereignisse erhielten dadurch eine verstärkte Dringlichkeit, dass sie Teil der konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit waren. Während der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Pfalz-Neuburg Lutheraner waren, vertrat Kaiser Rudolf II. selbstredend die katholischen Interessen im Reich, wenngleich er mit Christian von Sachsen aus politischen Gründen ebenfalls einen Lutheraner als neuen Landesherrn einsetzte. Durch Vermittlung des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel einigten sich der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Pfalz-Neuburg im sogenannten Dortmunder Rezess am 10. Juni 1609 auf eine vorläufige gemeinsame Regentschaft in den Vereinigten Herzogtümern. Von nun an nannten sie sich die Possidierenden, d.h. die in Besitznehmenden Fürsten.

Die Belagerung von Jülich 1610

Dagegen besetzte der Jülicher Amtmann Johann von Reuschenberg im Namen des Kaisers die Festung Jülich, was zu einer militärischen Eskalation führte. Versuche Erzherzog Leopolds von Österreich (1586-1632) den Anspruch des Kaisers militärisch durchzusetzen, scheiterten mit der Mobilisierung  der generalstaatische Armee und beginnenden Belagerung unter Moritz von Oranien. Dieser war mit dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Herzog von Pfalz-Neuburg ein Bündnis eingegangen, um einen habsburgischen Zangengriff der Generalstaaten zu verhindern. Auch der Erbfolgestreit, wie schon der Kölner Krieg, fand damit im Rahmen des Spanisch-Niederländisches Krieges statt.

Ganz Europa schien im Spätsommer 1610 auf die Festungsstadt Jülich zu schauen, wie die zahlreichen zeitgenössischen Flugblätter und Relationes (Berichte) deutlich machen. Das weit über 30.000 Mann starke Belagerungsheer wurde von Moritz von Oranien und Christian von Anhalt (1568–1630) angeführt, allein daran ist schon erkennbar, dass die Auseinandersetzung zwar im Namen der Possidierenden stattfand, diese aber kaum persönlich eine Rolle spielten. Moritz von Oranien war der Heerführer der Generalstaaten und einer der führenden Militärs seiner Zeit. Christian von Anhalt vertrat die Interessen der Union, des protestantischen Fürstenbündnisses im Reich. Neben Truppen dieser beiden Heerführer nahmen noch englische und französische Truppenkontingente an der Belagerung teil.

In geradezu mustergültiger Weise wurde die Belagerung gegen die Nordseite der Festung und vor allem gegen die Nordostecke der Zitadelle, der später Marianne genannten Bastion, vorgebracht. Schon Daniel Specklin (1536–1589) hatte 1589 in seinem Traktat Architectura von Vestungen Jülich als Beispiel dafür genommen, wie man eine Zitadelle mit vier Bastionen am besten belagern sollte, indem man nämlich den Angriff auf eine der Bastionen konzentrierte, da die Flankierung durch die beiden daneben liegenden Bastionen nur schwer möglich war. Zudem erleichterte die topographische Situation in Jülich die Belagerungsarbeiten. Von der Merscher Höhe aus konnten die Belagerer von erhöhter Position aus die Festung beschießen und ihren Angriff mit Annäherungsgräben vorantreiben. Moritz von Oranien reichte ein Monat aus, um die nordöstliche Bastion der Zitadelle nahezu sturmreif zu schießen.

Am 1. September 1610 kapitulierte der Verteidiger der Festung Jülich, Johann von Reuschenberg, und durfte mit seinen Truppen abziehen. Von nun an stand die Festung unter dem Kommando der Generalstaaten, die damit einen wichtigen geostrategischen Punkt am Niederrhein besetzt hielten. Die spektakuläre Einnahme der Festung Jülich, die bis dahin als eine der stärksten und uneinnehmbarsten Festungen der Zeit gegolten hatte, erregte in ganz Europa Aufsehen. Wie stolz die Belagerer über ihre Leistung waren, erkennt man an einer Erinnerungsmedaille aus dem selben Jahr, die mit der Umschrift »Nihil inexpugnabile« – »Nichts ist uneinnehmbar« versehen ist. Von nun an stand die Festung unter dem Kommando der Generalstaaten, die damit einen wichtigen geostrategischen Punkt am Niederrhein besetzt hielten.

In der Folgezeit forcierten die Generalstaaten den Ausbau der Festung Jülich mit Hornwerken an der Nordseite, der Hauptangriffsseite der Zitadelle. Erst im Jahr 1614 mobilisierten die Spanier unter Führung von Ambrosio Spinola wieder Truppen und zogen im Rheinland auf, ohne dabei aber Jülich zu belagern. Hintergrund für die militärische Operation der Spanier war unter anderem die erneute Eskalation des Jülich-Klevischen Erbfolgestreites. Der Burgfrieden zwischen dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Herzog von Pfalz-Neuburg zerbrach, da beide einen Konfessionswechsel vollzogen. Johann Sigismund von Brandenburg wurde Calvinist und suchte Unterstützung bei den Generalstaaten, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg konvertierte zur römisch-katholischen Kirche in der Hoffnung auf Anschluss an die Liga, das katholische Schutzbündnis der Reichsfürsten. Schließlich einigte man sich 1614 im Vertrag von Xanten auf die Teilung des Territorienverbundes: Jülich-Berg fiel an Pfalz-Neuburg, Kleve-Mark-Ravensberg an Brandenburg. Tatsächlich wurde das Vertragswerk von beiden Seiten nie ratifiziert.

Schloss Rheydt unter niederländischem Schutz

Mit dem Tode des kinderlosen Otto Heinrichs von Bylandt im Herbst 1608 und dem Ausbruch des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits waren auch die Herrschaft Rheydt erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Otto Heinrichs Schwager Florens Hattard von Boetzelear (vor 1595–1636), Herr über das benachbarte kurkölnische Odenkirchen, hatte sich kurzerhand widerrechtlich vor Klärung der Erbansprüche des Schlosses bemächtigt und es dem Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg zur Stationierung von Truppen angeboten. Dies musste den Spaniern erheblich missfallen, da Brandenburg mit den Generalstaaten im Bündnis stand. Um seine widerrechtliche Inbesitznahme weiter zu untermauern, suchte der Calvinist Florens, der zudem auch Freiherr in der Provinz Utrecht war und dessen Bruder gemeinsam mit Moritz von Oranien gegen die Spanier kämpfte, den Schulterschluss mit den Generalstaaten. Dadurch konnte er nicht nur Rekatholisierungsversuche in Rheydt und Odenkirchen verhindern, sondern strebte aktiv eine eigene souveräne Herrschaft an, die er bis zum Ende des niederländisch-spanischen Waffenstillstands 1621 auch de facto ausübte.

2021-10-28

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