Das Mühlenaktiv: Denkmalpflege von unten

Im Westen: „prämiertes“ Mühlensterben

„Die Sicherung der Volksernährung ist, wie die Vorlagebeschlüsse übereinstimmend mit Recht annehmen, ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges. Der Schutz dieses Gemeinschaftsguts rechtfertigt gesetzliche Eingriffe auch in die Freiheit der Berufswahl.“**

 


Die entstandenen Verarbeitungsüberkapazitäten, ausgelöst durch die staatlich verordnete Aufhebung der Kontingentierungsmaßnahmen nach 1950, führten zu Schließungen und zur Verdrängung von Kleinmühlen. 1955 folgte das Verbot eines Neubaus von Mühlen bzw. die Einschränkung von Erweiterungsmaßnahmen und 1957 das Mühlenstilllegungsgesetz mit einer Neubekanntmachung 1965, einer letztmaligen Änderung 1970 und Außerkraftsetzung 1972 mit der gesetzgeberischen Ersetzung durch das Mühlenstrukturgesetz.*

„Das Mühlengesetz sollte den Kapazitätsüberhang in der Mühlenwirtschaft der Bundesrepublik auf ein volkswirtschaftlich vertretbares Maß zurückführen und eine angemessene Verteilung der verbleibenden Mühlenbetriebe der verschiedenen Größenklassen im Bundesgebiet erreichen. Dies sollte in erster Linie durch eine freiwillige, von der öffentlichen Hand finanziell geförderte Stillegung [= sogenannte Stilllegungsprämie] von Mühlen verwirklicht werden. Um zu verhindern, dass die stillgelegten Kapazitäten an anderer Stelle neu entstanden, wurden die Genehmigungsvorbehalte eingeführt.“*

Aus einem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Mühlengesetzes 1968 geht hervor: Ein Teil des Gesetzes war tatsächlich verfassungswidrig, in dem es die freie Berufswahl einschränkte. Mit diesem zugrunde liegenden Gesetz war es nicht mehr möglich, den Beruf des Müllers zu ergreifen, weil damit schlichtweg kein Geld mehr verdient werden konnte. Die Gerichte mahnten dies an. Allerdings schienen sowohl der Deutsche Müllerbund e. V. wie der Gesetzgeber hier an einem Strang zu ziehen und von Überkapazitäten zu sprechen und dass diese dringend reguliert werden müssten.

Daraufhin spricht sich das Gericht dafür aus und begründet dies damit, dass das Grundrecht auf freie Berufswahl diesem höheren Ziel untergeordnet werden darf. „Das Gesetz schränke zum Schutze eines überragend wichtigen Anliegens der Gemeinschaft die Freiheit der Berufswahl und die Freiheit der Berufsausübung nur in dem unbedingt gebotenen Umfange und mit geeigneten Mitteln ein. Die Mühlenstelle hat eine Reihe verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen vorgelegt, in denen die Verfassungsmäßigkeit des Mühlengesetzes bejaht wird.“** (LESEEMPFEHLUNG siehe Link)


In einem Zeitraum von rund dreißig Jahren wird das Mühlengesetz immer wieder infrage gestellt, um dann den Bedürfnissen des "Marktes" erneut angepasst zu werden. In einem Bericht der DGM***-Mitgliederversammlung, von 1987 taucht die Problematik wieder auf:

"Auf große Sorge und heftige Kritik stieß bei den Versammlungsteilnehmern die Ankündigung einer weiteren Stillegungswelle bei kleineren und mittleren Mühlen – hier droht ein neues Mühlensterben mit noch unabsehbaren Folgen für eine Vielzahl der Kulturdenkmäler Mühlen. Ein spezieller 'Stillegefond' soll den im Grenzbereich der Rentabilität arbeitenden gewerblichen Mühlen Stillegungshilfe anbieten und den Gang zum Konkursrichter vermeiden helfen – verschiedene Mühlenfreunde vermuteten hinter dieser 'Hilfs'-Strategie vielmehr das Interesse von Großmühlen, über solche Finanzanreize die 'freiwillige' Stillegung vieler kleiner und mittelständischer Marktkonkurrenten herbeizuführen, um später das Preisgeschehen auf dem Markt leichter kontrollieren zu können. Eine solche Stillegungswelle konterkariere die Zielsetzung der DGM, Mühlen zu erhalten. Daher sei eine Stellungnahme der DGM, Mühlen zu erhalten gegen diese Stillegung wünschenswert." ****


Im Beschluss vom 9. März 1964 wird das Wort „Mühlensterben“ in einer Gerichtsbegründung genannt.

 

*Quelle: Beschluss des Ersten Senats vom 19. März 1975 -- 1 BvL 20, 21, 22, 23, 24/73 -- in den Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 8 Abs. 1 bis 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 bis 3 des Mühlenstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1971 (BGBl. I S: 2098) - Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. April 1973 (1 K 1291/72 [1 BvL 20/73], 1 K 1317/72 [1 BvL 21/73], 1 K 983/72 [1 BvL 22/73], 1 K 465/72 [1 BvL 23/73] und 1 K 469/72 [1 BvL 24/73]) -.BVerfGE 39, 210 (210)

**BVerfGE 25, 1 – Mühlengesetz; Beschluß des Ersten Senats vom 18. Dezember 1968 - 1 BvL 5/64 -; Begründung D/III

 ***DGM: 1987 in Minden (Westfalen) gegründete Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung. Dachverband der Westdeutschen Mühlenvereine.

****Scheweling, Gundolf, DGM_ Mitgliederversammlung 1988 in Lauf. In: (5) Der Mühlstein 1988, H.4, S. 54-57, hier S 55.

2022-09-07

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