Die Grundsteinlegung der Festung Germersheim

Stadt und Festung im Kaiserreich

In den Reden am Tag des Jubiläums wurde die Verbindung zwischen Stadt und Militär in höchsten Tönen gelobt und die positiven Entwicklungen, welche der Bau der Festung hervorgebracht hatte, unterstrichen. Die Vermählung von Gesellschaft und Militär, die von Sauer mit der „golden Hochzeit“ ansprach, steht im Kontext der militaristischen Gesellschaft des Kaiserreichs. Bereits die Geburt des Kaiserreichs in den Einigungskriegen (1864, 1866, 1870/71) war militärischer Natur. Besonders beeindruckend hat Anton von Werner diesen „Gründungsmythos“ auf seinem berühmten Historiengemälde, zur Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles, dargestellt (Abbildung siehe unten). Auch wenn diese Darstellung nicht der Wirklichkeit entspricht, gibt sie sehr gut darüber Auskunft, welche Bedeutung das Militär in der Gesellschaft des Kaiserreichs hatte.

Kaiserproklamation Wilhelms I. in Versailles am 18. Januar 1871, von Anton von Werner (1877)

Das Militär galt als ehrenhaft und die zumeist adeligen Offiziere waren angesehene Männer. Die Erziehung der Kinder und Jugendlichen war nach militärischem Vorbild organisiert; Paraden und Aufmärsche gehörten zum Alltag. Alles an der kaiserlichen Gesellschaft war auf das Militär ausgerichtet. So nahm auch die Bevölkerung in Germersheim die 50-Jahrfeier der Festung bestimmt als wichtigen Feiertag wahr, der Ausdruck des Aufschwungs war, den die Stadt in den Jahrzehnten zuvor durchlebt hatte. Dank Festung und Garnison gab es seit 1861 einen Bahnhof und seit 1864 Gaslaternen, die die Straßen beleuchteten.

Neben dem infrastrukturellen und wirtschaftlichen Boom waren, wie sich 50 Jahre nach Baubeginn bereits abzeichnete, die Entwicklungen nicht nur positiv. Laut zeitgenössischen Berichten hatte die Anwesenheit des Militärs zu einem Verfall von Sitte und Moral geführt. Zudem hatte sich die Stadt, im Inneren der Festung, mittlerweile bis an die Mauern ausgebreitet, was sie daran hinderte weiter zu wachsen. Ab 1880 gingen die Bevölkerungszahlen - wenn auch nur leicht - zurück, was für die Pfalz eine untypische Entwicklung war. Daraus lässt sich ableiten, dass die Schubwirkung, welche die Festung noch 1834 gehabt hatte so langsam ein Ende fand. Auch der militärische Nutzen wurde immer mehr in Zweifel gezogen, weil die Festung der Reichweite moderner Kanonen nicht mehr gewachsen war. Insbesondere das Aufkommen von Brisanzgranaten einige Jahre später stellte den Sinn der Festung in Frage. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigte sich, dass die Festung langsam zu einem Käfig wurde, in dem die Stadt gefangen war.

2021-09-30