Bodenstanduhren

Christian Ernst Kleemeyer: Bodenstanduhr, um 1790

Beschreibung

Das mahagonifurnierte, hohe und schmale Gehäuse weist einen mit Sockel, Pendelkasten und Kopf dreiteiligen, architektonisch streng gegliederten Aufbau auf. Eine durchgehende Leiste schließt den unteren Teil des Sockels zum Fußboden hin ab. Zwei sich verjüngende, profilierte Leisten leiten vom breiteren Sockel zum Mittelkasten über, der an der Vorderseite über eine einfach gerahmte Tür mit perlmutt-geziertem Schlüsselloch verfügt. Zwischen Türabschluss und Uhrenkopf setzt sich ein jeweils an den drei Schauseiten umlaufendes, etwas vorkragendes Feld ab. An der Vorderseite ist es durch ein vertieftes querovales Medaillon geschmückt. Fein ziselierte Palmettmotive zieren dessen vergoldeten Rahmen. In der Mitte des Medaillons befindet sich auf einem schwarzen Fonds das vergoldete Relief einer stehenden weiblichen Figur: Prudentia, Personifikation der Klugheit, eine der vier Kardinaltugenden. Sie blickt in einen Handspiegel (Spiegel der Selbsterkenntnis) und umfasst mit der rechten Hand eine Schlange (Symbol der Weisheit). Solche Darstellungsformen finden sich häufig unter anderem in der Graphik der Frühen Neuzeit, wie auch dieses Beispiel zeigt: Ein ca. 1574-80 entstandener Stich von Jan Collaert (I) gibt Prudentia in einer vergleichbaren Haltung wieder (Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. L 2011/1 34 (PK)) https://www.boijmans.nl/en/collection/artworks/146216/prudence. Allegorische Figuren dieser Art kommen an Uhren nicht selten vor; sie erinnern beim Ablesen der Zeit daran, diese im Sinne der Selbsterkenntnis weise zu nutzen. Der Beschlag wird von dem letzten Kunsthändler (Viebahn Fine Arts) der Berliner Firma von Christian Gottlob Werner und Gottfried Mieth zugeschrieben. Es kommt aber auch eine der anderen in Berlin tätigen Bronze-Werkstätten in Frage.

Der Uhrenkopf mit der ausgewogen-quadratischen Front besitzt einen flachen Aufsatz. Dessen Seiten sind durchbrochen gearbeitet und von innen mit dunkelgrüner Seide bespannt, so dass der Schlag der im Inneren knapp darunter sitzenden Glocke von außen gut hörbar ist. Sowohl an der Front als auch an beiden Seiten befinden sich Türen, die vordere besitzt eine gewölbte Verglasung.

Das aus einfachen Formen zusammengesetzte Uhrengehäuse entfaltet durch das kostbare, geflammte Mahagonifurnier und den sparsamen Einsatz von Zierelementen (Medaillon mit Prudentia-Relief) eine edle Wirkung. Der Uhrmacher Christian Ernst Kleemeyer (1739-1799) wurde als Sohn eines Tischlermeisters in Sachsen geboren. Es liegt nahe, dass er neben dem Uhrmacherhandwerk auch über weitreichende Kenntnisse zur Fertigung von Uhrenkästen verfügte. 1769 erhielt er in Berlin das Bürgerrecht sowie den Meistertitel. Bekannt wurde er vor allem für seine qualitätsvollen, auch ins Ausland vor allem an Fürsten und hochrangige Adlige verkauften Flötenuhren. Er stellte aber auch astronomische Uhren mit Äquationswerk her. Seine Werkstatt organisierte Kleemeyer ab der Mitte der 1780er Jahre mehr und mehr arbeitsteilig, indem er für bestimmte Arbeitsschritte spezialisierte Handwerker beschäftigte. 1797 erhielt er für sich und die Söhne Christian Friedrich und Heinrich die Konzession für eine Uhrenmanufaktur in Berlin, die Christian Friedrich Kleemeyer (1771-1813) bis zu seinem Tod weiterführte. Die Manufaktur bot unterschiedliche Uhren an, deren baukastenartig vorproduzierte Einzelbestandteile nach Kundenwunsch kombiniert und durch kostbare Materialien sowie durch Musikspielwerke veredelt werden konnten. So werden im „Journal der Moden“ (1. Jg. Febr. 1786, S. XX-XXII) die Preise für Uhr- und Flötenwerke sowie Uhrgehäuse angegeben. Ein einfaches Gehäuse ohne Bildhauerarbeit kostete 30, mit Bildhauerarbeit 50, „noch schöner“ 80 Reichstaler, während „Postamente, Aufsätze mit Spiegeln von Mahagony=Holz und vergoldeten Zierrathen“ mit 130 Reichstalern bezahlt werden mussten. Kleemeyers Uhrwerke finden sich aber auch in feinsten Gehäusen der Königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin. Die Schreibweise des Familiennamens differiert sowohl in den schriftlichen Quellen als auch bei den Signaturen auf den Uhren: Ernest oder Ernst, C. E. Kleemeyer oder C. E. Klemeyer, für die Zeit der Manufaktur auch nur „Kleemeyer Berlin“.

 

Beschriftung/Aufschrift

auf dem Zifferblatt: C.E. Klemeyer IN BERLIN

 

Vergleichsobjekte

Museum Neuruppin, Inv. Nr. V-0219-E, Christian Friedrich Kleemeyer, Bodenstanduhr, bez. „C. F. Kleemeyer IN BERLIN“, um 1800/1810, Provenienz: Nachlass Familie Theodor Fontane

Privatbesitz (ehem. Viebahn Fine Arts): Flötensekretär mit acht Walzen, bez. „C. E. Kleemeyer A BERLIN“, um 1800, Provenienz: Frederik IV (1671-1730), König von Dänemark und Norwegen

 

Material/Technik

Korpus: Nadelholz mit Mahagoni- und Ebenholzfurnier; Schlösser: Eisen, Perlmutt; Beschläge: Bronze, feuervergoldet; Uhrwerk: Messing, Stahl, Email, Glas, bombiert.

 

Maße

Höhe: 221 cm, Breite: 46,5 cm, Tiefe: 30 cm.

 

Ausführliche Beschreibung

Das rechteckige Messing-Vollplatinenwerk (H: 16,5 cm; B: 12,4 cm; Platinenstärke: 0,27 cm,) hat balusterförmige Werkpfeiler mit kugeligem mittigem Nodus und konischen Ansätzen zu den Platinen, H: 6,15 cm), Kadratur auf der Vorderplatine, verfügt über ein Rechenschlagwerk mit Stundenschlag auf eine große Silberbronze-Glocke oberhalb der Platinen (Schlagwerksabstellung über einen kleinen Hebel über der 60), Scherenhemmung, Pendel mit Federaufhängung (Anbringung auf der Rückplatine), Pendelstab aus flachem Messingblech. Der Antrieb erfolgt über zwei mit Messing ummantelte Bleigewichte, zwei lose Rollen und erneuerte Darmsaiten, Aufzug über Vierkante durch die die beiden Löcher im Zifferblatt (bei 4.30 und 7.30 Uhr). Die Gangdauer beträgt eine Woche. Ferner weist die Uhr Datumsanzeige und Repetition auf. Auf der Rückplatine gab es eine nachträglich angebrachte Gangreserve, die 2012 entfernt wurde.

Das auf eine Blindplatine montierte, auf der Vorderseite mit „C.E. Klemeyer IN BERLIN“ signierte, schüsselförmige Emailzifferblatt (D: 29,5 cm) gibt im Konteremail keine Hinweise (Signatur o.ä.) auf den Hersteller, obgleich die Art typisch erscheint für die Produkte von Louis Buzat (Genfer Zifferblatthersteller, tätig ab ca. 1782 bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Friedrichsthal bei Berlin, später in Berlin). Das Zifferblatt zeigt römische Stunden- und arabische Fünfminutenziffern sowie eine Minuterie mit Punkten. Im Innenring wurden (nur die ungeraden) Datumsziffern – getrennt durch Kreuze – vermerkt. Die vergoldeten Stunden-, Minuten-, und Datumszeiger aus vergoldetem Messing sind durchbrochen gearbeitet und fein ziseliert. Der schmale, zentrale Sekundenzeiger besteht aus gebläutem Stahl.

Das Türschloss an der Innenseite des Pendelkastens offenbart nach Demontage auf der Innenseite eine interessante Markierung: ein gestempeltes Zepter und ein gestempelter Adler. Aufgrund der gröberen Behandlung könnte das geschmiedete Schloss einer früheren Zeit entstammen oder hier zweitverwendet worden sein.

Auch wenn die Uhr über kein Musikspielwerk verfügt, ist ihre Gestaltung und Ausstattung aufwendig und von hoher Qualität. Es ist vorstellbar, dass sie Ende des 18. Jahrhunderts für einen vermögenden großbürgerlichen Haushalt erworben wurde; der Erstbesitzer ist unbekannt. Im Aufbau ähnlich, in der Ausstattung schlichter bietet die Bodenstanduhr aus dem Besitz des märkischen Dichters Theodor Fontane einen guten Vergleich zu diesem Uhrentypus (um 1800/10, Museum Neuruppin, Inv. Nr. V-0219-E). Es zeigt auch die Kontinuität einer einfachen und zweckmäßigen Form, die – je nach Geldbeutel des Auftraggebers – nach Bedarf durch edlere Materialien kostbarer gestaltet werden konnte und noch zwanzig Jahren später nicht unmodern wirkte. Aus einer dänischen Privatsammlung gelangte die Bodenstanduhr über den Kunsthandel 2016 in deutschen Privatbesitz. (Silke Kiesant)

 

Literatur

Abeler, Jürgen (1977): Meister der Uhrmacherkunst, Wuppertal, 1977, S. 341

Kiesant, Silke (2013): Prunkuhren am brandenburgisch-preußischen Hof im 18. Jahrhundert. Mit einem Katalog ausgewählter Uhren Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. von Preußen. Petersberg 2013, S. 108-110 (dort weitere Literatur und Quellen)

Kiesant, Silke (2019): Fontanes Erbstück – Die Standuhr des Berliner Uhrmachers Christian Friedrich Kleemeyer im Museum Neuruppin. In: Jahrbuch Ostprignitz-Ruppin 2019, S. 24-33

König, Gerhard (1988): Uhren und Uhrmacherei in Berlin, Geschichte der Berliner Uhren und Uhrmacher 1450-1900. Berlin 1988

Stiegel, Achim (2003): Berliner Möbelkunst vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Berlin 2003, S. 482 und 493-502

Viebahn Fine Arts, Dokumentation, 2016

Zimmermann, Carola Aglaia (2019): Fontanes Taktgeber – Die Fontane-Uhr im Museum Neuruppin. In: Jahrbuch Ostprignitz-Ruppin 2019, S. 34-37

 

Schlagworte

Bodenstanduhr, Großuhr, Uhr

(Object from: Privatsammlung)