Bodenstanduhren mit Musikwerk
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden Uhrwerke in Bodenstanduhren mit mechanischen Musikwerken kombiniert. Dazu war ein eigenes Antriebswerk nötig. Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich Berlin zu einem anerkannten Zentrum der Produktion solcher Luxusobjekte. Berliner Musikuhren wurden an Interessenten in ganz Europa verkauft und genossen einen hervorragenden Ruf. Einer der frühesten Hersteller war hier der Hugenotte Pierre Claude (tätig ca. 1710-1740), der seine Glockenspiele und „künstlichen Stuben-Orgeln“ vermutlich noch in kleinere Uhrgehäuse und Tische integrierte. Friedrich I. in Preußen (1657-1713) und seine dritte Gemahlin Sophie Luise (1685-1735) waren die ersten Abnehmer dieser kostbaren und kostspieligen Kunstwerke. König Friedrich II. von Preußen (1712-1786) förderte in seiner Regierungszeit systematisch die Herstellung von Uhren mit Musikwerken. Auch wenn er sich anfangs vergeblich bemühte, bekannte Schweizer Experten, wie Pierre Jaquet-Droz (1721-1790), ins Land zu holen, gelang es ihm allmählich, Berlin zur Produktionsstätte für solche begehrten Luxusobjekte zu entwickeln. Diese verliehen den herrschaftlichen Interieurs in Schlössern und Adelspalästen eine besondere Note und unterhielten auf oft überraschende Weise die Bewohner und ihre Gäste mit mechanisch selbsttätig spielender Musik. Meist zur vollen Stunde ausgelöst, wurde das Dahinfließen der Zeit von Klängen zeitgenössischer Kompositionen angezeigt, die für ein Speichermedium, in diesem Fall eine Walze, arrangiert wurden. Sollte die Musik auch außerhalb der vom Uhrwerk gesteuerten Zeit erklingen, konnte das Spielwerk mittels einer Vorrichtung, wie bei einer Repetieruhr, manuell zu jeder beliebigen Zeit ausgelöst werden.
Die Herstellung dieser klingenden und prachtvoll gestalteten Möbelstücke setzte ein spezialisiertes, arbeitsteiliges Handwerk voraus, das die Einzelfertigungen von Gehäuse, Uhr- und Musikwerk beinhaltete. Nachdem der künstlerische Entwurf für das Möbel vorlag, begannen Gewerke, wie Kunsttischler, Uhrmacher, Klavier- und Orgelbauer, Walzenzeichner und Walzensetzer ihre Arbeit. Typisch für das Berliner Kunsthandwerk waren hohe, monumentale Standuhren in streng gegliederten Gehäusen, häufig aufwändig dekoriert mit Ornamenten und figürlichen Bekrönungen. Zum Ende des 18. Jahrhunderts kamen klassizistische Formen, wie auf Postamenten stehende Säulen oder Vasen in Mode, oder die Musikwerke wurden in Schränken mit verspiegelten Flächen oder Schreibsekretären integriert. Waren es anfangs die aus Frankreich und den Niederlanden angeregten Glockenspiel-Uhren, so entwickelte sich Berlin vor allem zu einem Zentrum der Harfen- und Flötenuhrenherstellung. Beide Arten wurde ab der Mitte des 18. Jahrhunderts parallel gefertigt, doch setzten sich besonders die Uhren mit Flötenwerken aufgrund ihrer Perfektion und großen Zuverlässigkeit durch. Harfenuhren waren dagegen reparaturanfälliger, das Instrument unter anderem durch äußere Umwelteinflüsse häufig verstimmt.
Für die herausragende Qualität der Berliner Flötenuhren sorgten die präzise laufende Mechanik und das vorzüglich ausgeführte musikalische Arrangement, das exakt auf die Walze mit Stiften und Brücken übertragen wurde. Kleine Hebel, sogenannte Claves, tasten die Notation auf der Walze ab. Dabei drücken diese über Stecher die Ventilklappen nach unten, Luft strömt in die Labialpfeifen, die den Ton hervorbringen. Für die konstante Luftzufuhr sorgt eine Balganlage mit Magazin- und Schöpfbälgen. Der Antrieb erfolgt über einen Gewichtsaufzug; den gleichmäßigen Ablauf regelt ein Windfang. Während des Spiels dreht sich die Walze spiralförmig mehrfach um die eigene Achse und wird dabei kontinuierlich seitlich verschoben, was bei einer durchschnittlichen Walzengröße eine Spieldauer von etwa vier Minuten bewirkt. Großteils bestehen die Walzen aus Holz. Nur für eine einzige Berliner Flötenuhr von Christian Möllinger ist bislang bekannt, dass Holz- und Messingwalzen zum Wechseln vorhanden waren. Möglicherweise war die Nutzung von Messingwalzen angeregt durch die Musikuhren aus den Werkstätten von David Roentgen und David Kinzing in Neuwied, die ebenfalls vom preußischen Königshaus erworben wurden.
Harfenuhren werden mitunter als Hackbrettuhren bezeichnet, weil das Instrument mit seinem besaiteten Resonanzkasten und seiner Hammermechanik klanglich an ein Hackbrett (Pantalon) erinnert. Auch die Benennung Klavieruhr war im 18. Jahrhundert üblich, was dem tatsächlichen Aufbau eher entspricht. Sie funktioniert folgendermaßen: Das Antriebswerk setzt eine mit kleinen Metallstiften besetzte Walze in Bewegung. Zwischen dem Resonanzkasten und der Walze sind die Hämmer mit Claves gereiht gelagert. Wird ein Clavis von einem Stift erfasst, schlägt der Hammer die zugehörige Saite an. Wie bei der Flötenuhr sorgt der am Laufwerk angebrachte Windfang für ein gleichmäßiges Tempo des Musikstücks. Ist ein Lautenzug vorhanden, bewirkt dieser durch Dämpfung das Spiel von Forte (laut) und Piano (leise). Da sich die Walzen von Harfenuhren kreisförmig drehen, sind die nach einer Umdrehung abgespielten Stücke eher kurz. Soll eine Harfenuhr mehrere Stücke spielen, so müssen auf der Walze für jeden Hammer mehrere Stiftreihen parallel nebeneinander vorhanden sein, wovon aber nur die Stiftreihe den Hammer fasst, die gerade vor diesen gerückt ist. Die Walze lässt sich in ihren Zapfenlagern verschieben und wird meist vom Werk zu verschiedenen Stunden verschoben, so dass die Uhr zu unterschiedlichen Stunden verschiedene Stücke spielt.
Das Repertoire der Walzen gibt Aufschluss über zeittypische musikalische Vorlieben. Gern gehört wurden Ouvertüren und Favoritstücke aus Opern, wie auch alltägliche, kurzlebige Gebrauchsmusik. Kammermusik, eigens für die Walzen, schrieben u.a. Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Christoph Willibald Gluck. Das Spielwerk gab dabei nicht einfach mechanisch-nachahmend die Notation eines Stückes wieder, sondern erzeugte eine ganz eigenständige musikalische Sprache, die exakt ursprüngliche Phrasierung und Dynamik einer Komposition zu erkennen gab. Flöten- und Harfenuhren sind damit die einzig klingenden Zeitzeugen, die uns heute noch authentisch Auskunft über die Interpretationspraxis um 1800 geben können.
2020-12-03