"Im Denken des naturverbundenen, wissenschaftlich interessierten und musikalischen Paul Klee nimmt der Begriff der ’Genesis’ eine zentrale Position ein. Klee (1879-1940) wollte mit seiner Kunst in den geheimen Grund eindringen, ’wo das Urgesetz die Entwicklungen speist’. Geistige Quellen für die Weltanschauung des kühlen Visionärs sind vor allem die Naturauffassung und Dichtung Goethes mit der Idee von der Metamorphose und das Poesieverständnis der deutschen Romantik.
Nicht das vollendete Werk, sondern das Entstehen der Form aus den Gesetzlichkeiten eines dynamischen Gestaltungsprozesses, den er sichtbar macht, war für Klee das eigentlich Künstlerische. Die Gesetzlichkeiten dieser ’Formung’ analysierte er in seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus. Diese Untersuchung der ’bildnerischen Elementarmittel’ Linie, Helldunkel und Farbe liegt seinen Werken zugrunde, zur Analyse aber tritt die Intuition - Kunst ist für Klee ’Synthese von äußerem Sehen und innerem Schauen.’ Das Gemälde ’Phantastische Flora’ entsteht in diesem Verständnis als Bild der ’Genesis’: In einem pulsierenden Farblichtraum steigen auf dem horizontal eingeschriebenen Liniennetz von Stufe zu Stufe, ihrem ’Wachstumsgesetz’ folgend, zeichenhafte pflanzenartige Gebilde empor, die sich in den oberen Zonen wie Blütenkelche öffnen. Bogenformen oben und unten differenzieren den perspektivlosen, schwingenden Bildraum, der als Metamorphose von Landschaft und Bühne erscheint - ein Bild des kosmischen ’Welttheaters’ im Sinne der Romantik, dessen Vorhang der Künstler zu heben scheint. Das Bild wird zum Gleichnis für die Schöpfung, Kunst nicht nach der Natur, sondern wie die Natur. Das luzide Selbstporträt des Künstlers als Schöpfer scheint darin verborgen." (Schneider, Katja (Hg.): Moderne und Gegenwart - das Kunstmuseum in Halle, 2008, S. 94f)