Der Bildhauer Ridolfo Schadow

Diskuswerfer

Beschreibung

Anders als die oft mehrfache Ausführung eines beliebten Modells ist das in der Alten Nationalgalerie präsentierte Exemplar des „Diskuswerfer“ ein Unikat. Es ist die letzte eigenhändig vollendete Marmorarbeit von Ridolfo Schadow, der am 22. Januar 1822 in Rom starb. Sicherlich wäre der „Diskuswerfer“ ähnlich seiner „Spinnerin“ oder seiner „Sandalenbinderin“ ein ,Bestseller‘ geworden, hatte er doch bereits kurz nach der Fertigstellung des Modells öffentliche Aufmerksamkeit und euphorisches Lob erhalten. So ließ sich der Kunstsammler, Schriftsteller und Mäzen Johann Gottlob von Quandt (1787–1859) zu dem Urteil hinreißen, eines der trefflichsten Bildhauerwerke überhaupt gesehen zu haben: „Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, dass diese Figur zu den trefflichsten Werken der Bildhauerkunst gehört. Wir werden durch diese äußerst gelungene Statue von natürlicher Größe zu der Bemerkung veranlasst, wie vorteilhaft es für jeden Künstler ist, die Aufgaben aus der Wirklichkeit zu entlehnen.“ (Quandt, Kunst-Blatt, 4.1.1821, S. 8).

Tatsächlich hatte Ridolfo hier direkt nach dem Naturvorbild gearbeitet. Berichten an seinen Vater zufolge hatte ihm ein 16-Jähriger Modell gestanden. Schadow zeigt den Jugendlichen mit Diskus in einer ausladenden Schreitbewegung und zielgerichtet erhobenem linken Schwungarm ohne jede Dramatik. Sein ebenmäßiges Gesicht mit Augensternen, Stirnbinde und antikisierend gelocktem Haar sowie leicht geöffnetem Mund ist von einer kontrollierten Lebendigkeit geprägt, die für Ridolfo Schadows Idealfiguren charakteristisch ist. Fein ausgearbeitet sind die dynamisch geformten Gewandfalten, die das subtile Muskelspiel des Oberkörpers und der Beine aufnimmt – ohne die Ruhe und das Ebenmaß der geglätteten Fläche zu stören. Schadow hatte die Arbeit von seinen Mitarbeitern Michelangelo (Lebensdaten unbekannt) und Vito Carluccio (gest. 1829) in Marmor übertragen lassen und die letzten Ausführungen eigenhändig übernommen. Eigenen Berichten nach hatte er insgesamt 36 Tage am Stein gearbeitet und durch das finale Ausschleifen mit Sand und Bimsstein, dem Inkarnat die abschließende Ebenmäßigkeit verliehen. Unterstützt wurde die homogene Form maßgeblich durch die Qualität des Marmors, die Ridolfo schwärmend hervorhob: „[…] der Marmor ist auch ausgezeichnet schön.“ (Brief Ridolfo an Johann Gottfried Schadow, 28.04.1821, SMB-ZA, NL Schadow). Einzig der weit auskragende Arm konnte nicht mit aus dem Block gehauen werden, sondern musste separat gearbeitet und angesetzt werden.

Ridolfo Schadow hatte das Werk aus eigenem Antrieb und ohne Auftrag gefertigt, konnte es jedoch schon 1822 nach Schottland in die Sammlung des Lord Kinnaird verkaufen, der es in seinem Anwesen Rossi Priory bei Dundee aufstellte. Außer dem „Diskuswerfer“ waren auch andere Werke nach England[KS1]  verkauft worden, so zwei Marmorreliefs – den Raub der Tochter des Leukippos sowie den Tod des Kastors darstellend –, die „Spinnerin“ und einige Grabmonumente. 1988 wurde die Skulptur des „Diskuswerfers“ aus englischem Kunsthandel erworben und in die Skulpturensammlung bzw. später die Sammlung der Alten Nationalgalerie eingegliedert. Der Maler Julius Schoppe (1795–1868) hatte den „Diskuswerfer“ im Atelier Ridolfos zeichnerisch dokumentiert und durch die Akademie-Ausstellung „Zeichnungen nach Bildhauer-Arbeiten des verstorbenen Rudolph Schadow“ im Jahr 1824 auch in Berlin bekannt gemacht.

Yvette Deseyve

Provenienz: ab 1822 Lord Kinnaird, Rossi Priory bei Dundee, 1988 erworben aus englischem Kunsthandel (Skulpturensammlung der Staatlichen Museen), heute Alte Nationalgalerie

 

Material/Technik
Marmor
 
Maße
Höhe: 149.00 cm Breite: 73.00 cm Tiefe: 97.00 cm
 
Hergestellt
...wer      Schadow, Ridolfo
...wann    1821

 

(Object from: Alte Nationalgalerie, SMB PK)