Anton Graff - Meisterporträts in Original, Kopie, Druck

Über 130 Stecher

In den Jahrhunderten vor der Erfindung der Fotografie war die Reproduktionsgrafik d a s Medium der Vermittlung der Bildkünste. Die Bilderkenntnis des gebildeten Publikums stützte sich in weit höherem Maße auf druckgrafische Reproduktionen als auf die exklusiven Unikate, nicht anders als heute die Fotografie und fotomechanische Druckverfahren die Vermittlung von Kunst übernommen haben.

Das maßgebliche Werkverzeichnis Graffs von dem Berliner Kunsthistoriker Ekhart Berckenhagen, erschienen 1967, weist 333 Stiche, Schabblätter und Lithografien von über 130 Künstlern nach Bildnissen des Malers nach. Diese Zahlen übertreffen die Menge der Reproduktionen nach anderen deutschen Porträtisten bei weitem. Dies entspricht dem Umfang von Graffs Schaffen. Vor allem aber macht sich hier die Tatsache bemerkbar, dass in diesem enormen Werk Dichter, Denker, Gelehrte und andere herausragende Zeitgenossen besonders zahlreich vertreten sind - Persönlichkeiten, deren Porträts aufgrund eines öffentlichen Interesses druckgrafische Verbreitung fanden. Diese schnelle und weite Streuung seiner Arbeiten durch die Reproduktion wiederum mehrte Graffs Ruhm außerordentlich.

Der wichtigste Stecher in dieser Hinsicht, sowohl was die Menge der Blätter nach Graff als auch was die Höhe seiner Kunst angeht, war der in Leipzig tätige und mit Graff befreundete Johann Friedrich Bause, der nicht weniger als 45 Porträts des Dresdner Meisters stach, viele davon sogar mehrfach. Eine große Zahl von Bildnissen Graffs reproduzierten auch Daniel Berger in Berlin, Christian Gottlieb Geyser in Leipzig sowie Johann Elias Haid in Augsburg - alle drei führende Meister ihres Fachs, Haid wie Bause schon seit den Jahren der Ausbildung mit Graff befreundet.

Viele Stecher arbeiteten nach dem Prinzip der Serie und schufen über die Jahrzehnte hinweg Folgen von Bildnissen, deren vereinheitlichende Elemente die Übereinstimmungen in Format, Technik, Rahmung und Gestaltung der Inschriften waren. Das Personal dieser Reihen waren die herausragenden Zeitgenossen. Entscheidende Entwicklungslinien zu diesen verliefen von den sogenannten Bildnisvitenbücher, Verbindungen von Bildnissen und Lebensbeschreibungen, sowie außerdem von den Porträtgalerien der deutschen Geisteswelt, deren bedeutendstes Beispiel der Freundschaftstempel Johann Wilhelm Ludwig Gleims in Halberstadt ist. In den Porträtgrafiksammlungen, die zahlreich angelegt wurden, fanden die in Reihen erschienenen Blätter Eingang ebenso wie die separat oder in Büchern erschienenen Blättern.

Worin der Porträtstich über seine Vorlage hinausgeht, das sind das häufige Beiwerk allegorischer Art, die Beschriftungen, die allermeistens angebracht sind, und vor allem die Umrahmung des eigentlichen Porträts. Im Wesentlichen zeigen die Stiche nach Graff bereits die aufklärerische purifizierende Rahmung um das Bildfeld, die durch Bause in Leipzig und andere nach dem Vorbild des in Paris tätigen Stechers Johann Georg Wille eingeführt wurde.

Die geläufigsten Formeln des Arrangements sind die Darbietung des Porträts als Kleinarchitektur mit steinernem Rahmen und Schrifttafel in der Art eines Epitaphs, ferner als Bildnismedaillon, das häufig an einer Bandschleife hängend dargestellt wird. Der Stich erhebt sich durch die Rahmung und die damit bewerkstelligte Konzeption als Bild im Bild (bzw. Epitaph im Bild, Medaillon im Bild) auf eine Metaebene und bringt hierdurch die wesentlichen Porträtfunktionen unmittelbar zum Ausdruck: So hat das Bildnis die Aufgabe, das Andenken der dargestellten Persönlichkeit zu ehren und zu bewahren, wie es insbesondere eben für das Epitaph gilt. Ferner ist das Bildnis ein Medium des zwischenmenschlichen Austauschs und dient - gerade auch in der intimeren Porträtform des Medaillons - der empfindsamen Vergegenwärtigung des geliebten oder verehrten Menschen.
Stellt das epitaphartige Arrangement eine Würdeformel dar, so steht die Anordnung als Medaillon eher für Freundschaft und Liebe.
Häufig spielt das Arrangement von Porträt mit Rahmung mit der Illusion, so dass in vielen Fällen nicht zu entscheiden ist, ob ein gerahmtes Bild oder eine Person hinter einem Rahmen zu erblicken ist. Dass der Lichteinfall auf der Rahmung fast immer identisch ist mit demjenigen im eigentlichen Porträt, dies fördert diese Verwirrung.

Eine weitere Zutat der Porträtgrafik gegenüber ihrer jeweiligen Vorlage ist die bisweilen recht ausführliche Beschriftung. Beinahe obligatorisch im Druck ist die Angabe des Namens des Dargestellten, häufig ergänzt um Lebensdaten, Rang und Amt. Vielfach tragen die Blätter in den eigens dafür angelegten fingierten Inschriftfeldern in gereimten Versen das Lob des Dargestellten vor. Nur in Ausnahmefällen bedienen sich diese kleinen Dichtungen noch des feierlichen Latein, wie es im Barock üblich war. Auch in diesen Paratexten wird die wesentliche Porträtfunktion deutlich. Grundsätzlich sind es die Meriten, die die Porträtwürde einer Persönlichkeit ausmachen. In der Verdienstlichkeit liegt die Vorbildhaftigkeit dieser Persönlichkeit und hierin wiederum das erzieherische Potential des Porträts, das diese Person mit dieser Vorbildhaftigkeit vermittelt.

In vormoderner Zeit eignet der Reproduktionsgrafik eine Doppelnatur: einerseits als Medium der Vermittlung der großen Kunstwerke sowie der Porträts von Persönlichkeiten von öffentlichem Interesse, andererseits als Kunst sui generis. Indikator für Wertschätzung des Kupferstichs als Kunst ist etwa auch, dass das Werk der führenden Kupferstecher auf Vollständigkeit gesammelt wurde.

Mit dem bedeutenden Aufstieg des Kupferstichwesens wurden verbreitet Sammlungen dieser Kunstgattung angelegt. Insbesondere das Sammeln von Porträtstichen war weit verbreitet. Viele dieser Porträtsammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts sind erhalten, so im Gleimhaus die Sammlung des Halberstädter Dompredigers Christian Friedrich Bernhard Augustin (hier kenntlich durch den Signaturenbestandteil "PA").

Wie von einem ‚Lesepublikum‘ die Rede ist, so könnte man für das 18. Jahrhundert von einem ‚Grafikpublikum‘ reden. Die Blüte der Porträtgrafik korrelierte mit dem Aufschwung des Buchdrucks wie denn auch Porträtdruck und Buch in vielfältiger Verbindung miteinander standen. So waren manche der zahlreichen Zeitschriften der Aufklärung mit einem Frontispiz-Porträt je Band ausgestattet. Auch Almanache brachten Serien von Porträtkupfern heraus. Werkeditionen waren häufig mit dem Porträt Ihres Autors ausgestattet. In der Gattung des Bildnisvitenbuchs waren Porträt und Biografie gleichgewichtig beteiligt. Es war der Wunsch, die Verfasser der Schriften, nicht nur durch das Wort, sondern auch seiner Gestalt nach kennenzulernen, der wiederum die Porträtkultur der Aufklärung beflügelte.

Die geläufigen druckgrafischen Techniken des 18. Jahrhunderts waren der Kupferstich, die Radierung mit ihren Abwandlungen inklusive der Punktiermanier sowie als drittes der Schabstich (Mezzotinto, englische Manier). Die beiden letztgenannten Techniken bilden nicht durch Linien, sondern durch Flächen ab und sind dabei durch tonale, malerische Wirkung gekennzeichnet.

2016-10-11