"Krieg ist mein Lied"

Brief von Gotthold Ephraim Lessing an Gleim, 12.12.1757

Die literarische Welt war sich einig im Lob gerade des Liedes auf den Sieg bei Roßbach. Lessing lobte drei Tage nach Kleist (siehe #) in dem vorliegenden Brief an Gleim: "O was ist unser Grenadier für ein vortrefflicher Mann! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gut er seine Sachen gemacht hat! […] Zu einer solchen unanstößigen Verbindung der erhabensten und lächerlichsten Bilder war nur Er geschickt!"
Die drei bis dahin existierenden Kriegslieder waren als Separatdrucke erschienen, vornehmlich in Leipzig, wo sich Lessing und Kleist zu dieser Zeit aufhielten. Im vorliegenden Schreiben Lessings ist erstmals der Gedanke an eine Edition der Kriegslieder, an ein "Bändchen" gedacht. Auffällig ist, dass im Briefwechsel Gleims und Lessings die Fiktion des Grenadiers als Verfasser aufrechterhalten wird. Unter den herrschenden Bedingungen war Gleim aus Gründen des Selbstschutzes darauf erpicht, von den französischen Truppen, die in der Region stark vertreten waren und mehrfach in Halberstadt einmarschierten, nicht als Verfasser der Kriegslieder identifiziert werden zu können.

Liebster Freund,
O was ist unser Grenadier für ein vortrefflicher Mann! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gut er seine Sachen gemacht hat! Was haben der H. Major [Kleist] und ich, was haben wir uns nicht über seine Einfälle gefreut! Und noch alle Tage lachen wir darüber. Zu einer solchen unanstößigen Verbindung der erhabensten und lächerlichsten Bilder war nur Er geschickt! Nur Er konnte die Strophen: Gott aber wog bei Sternenklang etc. und Dem Schwaben der mit dem Sprung etc. machen, und sie beide in Ein Ganzes bringen. Was wollte ich nicht darum geben, wenn man das ganze Lied ins Französische übersetzen könnte! Der witzigste Franzos würde sich darüber so schämen, als ob sie die Schlacht bei Roßbach zum zweitenmale verloren hätten. Aber hören Sie, wollen wir unsern Grenadier nicht nun bald avancieren lassen? Jetzt wäre gleich die rechte Zeit dazu, da er hier unter den Generals und Prinzen ziemlich bekannt zu werden anfängt. - Der Herr von Kleist wird Ihnen von einigen Verändrungen geschrieben haben, um die wir, seine zwei Bewunderer, den Grenadier recht höchlich bitten. Die eine davon: o da war er, der erste welcher lief, ist einer gewissen Art Leute wegen unumgänglich nötig. Die Zweideutigkeit hat offenbar keinen Grund; aber giebt es nicht Leute, die ihr, auch ohne Grund, einen geben könnten? Die übrigen kleinen Veränderungen muß der Grenadier, nach seinem eignen Gutbefinden, machen oder nicht machen. So wie er uns melden wird, daß es gedruckt werden könne, wollen wir es auch drucken lassen. Denn gedruckt muß es werden! Wenn er auf die Schlacht vom fünften dieses, noch etwas machen wollte, so könnte er schon ein Autor von einem kleinen Bändchen werden. Alsdenn nemlich ließe man alle viere sauber zusammen drucken, und Sie, mein lieber Gleim, machten einen kleinen Vorbericht, um jeden Leser auf den rechten Gesichtspunkt zu stellen, aus welchem er die Lieder betrachten müsse. Der H. Major hat Ihnen doch bereits Herr Ewalden sein Siegeslied geschickt? Es ist so gut, als es ein nachahmender Witz machen kann; erfunden würde Herr Ewald diese Art von Gedichten nicht haben! Wenn sich Lieberkühn nun wieder einkommen läßt, ein Siegslied zu machen; so soll er Spießruten laufen müssen, und wenn er es auch auf die Rechnung eines Feldmarschalls schriebe. Einen kleinen Tanz werde ich ihn jetzt ohne dem, wegen seines Theokrits, tun lassen. Der Mensch übersetzt aus dem Griechischen, und versteht gewiß weniger Griechisch als Gottsched, oder irgend ein Tertianer ihres weit und breit berühmten Herrn Derlings. Sie werden erstaunt, was er für lächerliche Fehler gemacht hat. Und gleichwohl hat sich der Elende unterstanden, unserm lieben Rammler eine kleine Nachlässigkeit aufzumuntzen. Haben Sie, mein lieber Herr Gleim, in ihrer anakreontischen Bibliothek bereits Trapps Ausgabe vom Anakreon, mit der lateinischen Übersetzung in elegieischen Versen? Wenn Sie Ihnen noch fehlt, so will ich sie Ihnen schicken. Ich empfehle mich ihrer fernern Freundschaft und bin
ganz der Ihrige Lessing.

Textgestalt nach: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. v. Wilfried Barner u. a. Bd. II/1: Briefe von und an Lessing 1743-1770. Hg. v. Helmuth Kiesel u. a. Frankfurt/M. 1987 /Bibliothek deutscher Klassiker 17), S. 262 ff.

(Object from: GLEIMHAUS Museum der deutschen Aufklärung Original entry)

Material /Technique ...

Handschrift auf Papier

Written ...

... Who:

... When:December 12, 1757

... Where:Leipzig 

Received ...

... Who:

... Where:Halberstadt 

[Relationship to location] ...

Prussia 

Literature ...

  • Barner, Wilfried (1987): Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Frankfurt
  • Lacher, Reimar F. (2017): "Friedrich, unser Held" - Gleim und sein König. Göttingen