Anfang 1763 wurde Winckelmann von der jungen Angelika Kauffmann im Auftrag des späteren Zürcher Historikers, Staatsmanns und Verlegers Johann Heinrich Füssli (1745-1832) (und nicht, wie meist angenommen wird, des Malers und Kunstschriftstellers Johann Caspar Füssli) porträtiert. Winckelmann und Füssli verband ein freundschaftliches Schüler-Lehrer-Verhältnis. 

Die Künstlerin zeigt den Antiquar mit der Schreibfeder in der Hand über dem Papier am Tisch, den Blick seitwärts in unbestimmte Ferne gerichtet als einem klassischen Topos der Inspiration. Allerdings erscheint der Archäologe weniger temperamentvoll als es mit dieser Bildformel häufig einhergeht. Darin steht das Bildnis in einem gewissen Widerspruch zu der Wesensart Winckelmanns, den Zeitgenossen als lebhaft, heftig, hastig beschreiben. Unwillkürlich ist an die Formel von der „ruhigen Einfalt und stillen Größe“ zu denken, die als Vorgabe zu seiner Inszenierung im Bildnis wirksam geworden zu sein scheint. Die empfindsame Note, die dem Porträt eignet, entspricht der Stilistik der Porträtistin. Empfindsamen Gehalt birgt auch das leere Papier, ein leeres Quartdoppelblatt für einen Brief als eines Mediums der emotionalen freundschaftlichen Kommunikation. Das Porträt zeigt Winckelmann barhäuptig, im Hausrock mit offenem Hemdkragen, entsprechend den im Barock ausgebildeten Konventionen des Künstler- und Gelehrtenporträts. Bislang keine Beachtung gefunden hat der Shawl, ein ganz und gar ungewöhnliches Accessoire im Porträt des 18. Jahrhunderts. Möglich, dass dem Antiquar der Shawl genehm war, da er wie die Garderobe der Griechen nicht genäht war, sondern nur drapiert wurde. 

Das Original befindet sich im Kunsthaus Zürich. Die vorliegende qualitätvolle, verkleinerte Kopie kam als Geschenk von Dr. Wolfgang von Wangenheim in das Winckelmann-Museum.