Das Rathaus Wedding. Ein neues Rathaus für einen neuen Bezirk. Bis 31.10.2021 im Mitte Museum

Einleitung

Als am 1. Oktober 1920 das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ entstand, wurde der Wedding als eigener Verwaltungsbezirk gegründet. Der repräsentative Ort der neuen kommunalen Politik war – seit 1930 – das Rathaus Wedding in der Müllerstraße. In der Ausstellung des Mitte Museums geht es um die Akteure und die Themen der Reformpolitik im Bezirk Wedding von 1920 bis 1933. Die Ausstellung legt einen selten erzählten Teil der Berliner Regionalgeschichte frei.

Der Haupteingang zum Rathaus Wedding, Müllerstraße 146, ca. 1930 (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Wedding. Der dritte Bezirk von Groß-Berlin

Der Bezirk Wedding entstand als "Verwaltungsbezirk Nr. 3“. Zusammen mit Mitte (1), Tiergarten (2), Prenzlauer Berg (4), Friedrichshain (5) und Kreuzberg (6) gehörte er zu den Innenstadtbezirken: ein Areal, das dem historischen Berliner Stadtgebiet von 1861 entsprach. Um 1925 lebten im Bezirk Wedding über 350.000 Menschen.

Der Wedding war einer der dichtbesiedelten Bezirke Berlins. Der Wedding war der Bezirk der Arbeiter*innen. Nirgendwo sonst in Berlin war der Anteil an Lohnabhängigen so hoch wie hier. Der Wedding wählte links. Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen bildeten die Mehrheit. Zum Bezirksbürgermeister wurde am 21. Februar 1921 der Sozialdemokrat Carl Leid gewählt. (1867-1935) 

Der erste Weddinger Bezirksbürgermeister Carl Leid anlässlich der Einweihung des Volksparks Rehberge am 22. Juni 1929 (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Auf dem Weg zum Kommunalsozialismus!

Der Begriff des Kommunalsozialismus steht für einen Perspektivwechsel in der Kommunalpolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Reformen sollten für eine bessere Lebensqualität breiter Schichten der Bevölkerung sorgen. Die Gründung der Berliner Bezirke als eigene Verwaltungseinheiten lieferte dafür die geeigneten Instrumente. Nun entschieden die Bezirksstadträte und –verordneten vor Ort, nicht mehr die Stadträt*innen und Stadtverordneten im Berliner Rathaus.

Dies waren auch die Ansatzpunkte der Bezirkspolitik im Wedding. Sie wurde von Sozialdemokraten und Linksliberalen getragen. Nach dem Machtantritt 1933 drangsalierten Nationalsozialisten die Weddinger Bezirksstadträte und den Bezirksbürgermeister und entließen sie schließlich aus ihren Ämtern.

„Die Gemeinden sind finanziell durch den verruchten Krieg bankrott geworden. In dieser Zeit großzügige sozialistische Kommunalpolitik zu treiben, ist eine schwere Aufgabe. Zunächst wird es gelten, Ordnung in die Verwaltung zu bringen, sie zu höherer Leistungsfähigkeit zu bringen. […] Trotz aller Schwierigkeiten wird sich in dem neuen Groß-Berlin die Gelegenheit bieten, im Sinne des Kommunalsozialismus bahnbrechend zu wirken, und zwar nach den verschiedensten Richtungen hin. War früher in der Gemeinde das Haus- und Grundbesitzerinteresse ausschlaggebend, so soll in Zukunft das Interesse der breiten Schichten der Bevölkerung im Vordergrunde stehen.“ Carl Leid, 1920

Sitzungszimmer im neuen Rathaus Wedding, ca. 1930

Keinen Turm!

Wie die sechs anderen neuen Verwaltungsbezirke, in die das Stadtgebiet von Alt-Berlin aufgeteilt worden war, verfügte Wedding – im Unterschied zu den vormals selbstständigen, nun nach Groß-Berlin eingemeindeten Städten Charlottenburg oder Spandau – nicht über ein eigenes Rathaus. Die Büros des neuen Bezirksamts wurden daher zunächst auf bestehende städtische Gebäude verteilt. Weitere Räume wurden angemietet.

In der Müllerstraße (Ecke Limburger Straße) bot sich schließlich ein geeignetes Eckgrundstück für den Bau eines eigenen Rathauses an. 1928 gab der Magistrat von Berlin die Geldmittel zum Bau frei: 2.107.000 Reichsmark (heute: ca. 7.600.000€). Magistratsoberbaurat Friedrich Hellwig hatte die künstlerische und technische Leitung des Projekts inne. Am 28. November 1928 wurde der Grundstein gelegt. Im Oktober 1930 konnte das Rathaus bezogen werden.

Ansicht des Rathauses Wedding in der Müllerstraße Ecke Limburger Straße, ca. 1930 (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Die Modernität des Gebäudes

Im kubischen, klinkerverkleideten Bau an der Müllerstraße Ecke Limburger Straße sind die Büroräume und Sitzungssäle auf alle Stockwerke gleichmäßig verteilt. Eine großzügig bemessene, ebenerdige Eingangshalle dient als zentraler Verteiler.

Mit dem Rathaus Wedding entsteht in Berlin ein Rathaus neuen Typs, ein Verwaltungsgebäude im Stil der „Neuen Sachlichkeit“. Es ist Bürogebäuden ähnlich, die in den 1920er Jahren für Wirtschaftsunternehmen gebaut wurden.

„Im Innern hell und zweckmäßig eingerichtet, von außen schlicht und einfach gebaut, wird das Verwaltungsgebäude ein Sinnbild sein für die Arbeit in seinen Räumen: Dem Wohle der Bevölkerung im Wedding“. Aus: Bericht zum Bau des Rathauses Wedding, 1930

Im Rathaus Wedding, ca. 1930 (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Innenausbau und Raumverteilung

Für den Innenausbau des Rathauses kamen moderne Baumaterialien zum Einsatz, darunter Kunststein für die freitragenden Treppen und Glasbausteine für die hofseitigen Treppenhausfenster. Die Eingangshalle wurde vollständig mit grüngelb-glasierten Fliesen belegt. Der Hersteller, die Firma Richard Blumenfeld Veltener Keramikfabrik AG, hatte die neuen Berliner U-Bahnhöfe ebenfalls mit Baukeramik beliefert.

Treppenhaus B im Rathaus Wedding, ca. 1930, Fotograf: Ernst H Börner, (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Kunst und Verwaltung

So begrenzt die finanziellen Mittel der Verwaltung in den 1920er Jahren waren – das Bezirksamt Wedding ermöglichte seinen Mitarbeiter*innen und Bürger*innen, wenn auch in vergleichsweise bescheidenem Maße, das Erlebnis von Kunst.

Seit Mitte der 1920er Jahre – und damit noch bevor das neue Rathaus bezogen wurde – waren die Räume des Bezirksamts Wedding mit Werken von Berliner Künstler*innen geschmückt. Über dreißig Gemälde, Druckgrafiken und Skulpturen befanden sich hier als Leihgaben der "Kunstsammlung der Stadt Berlin" – einer seit 1893 aufgebauten Sammlung des Magistrats zur Unterstützung der Berliner Künstlerschaft.

Im Sitzungszimmer des neuen Rathauses hingegen wurde die Geschichte des Gebiets, das seit 1920 der Bezirk Wedding war, ins Bild gesetzt. Ein Fries aus historischen Fotografien, der als moderne Innenraumdekoration inszeniert war, zierte den Raum. Hinzu kamen historische Karten der früheren Vorstadt.

Das Bürgermeisterzimmer, vor dem Bezug des neuen Rathauses untergebracht in der Schönstedtstraße 5, Fotograf: Georg Wilke (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Eine grüne Lunge für den Norden

Große Flächen für Sport, Spiel und Bewegung zu schaffen, war im verdichteten Wedding überfällig. Am östlichen Rand der Jungfernheide entstand der 160 Hektar große Volkspark Rehberge (Entwurf: Stadtgartendirektor Erwin Barth und Bezirksgartendirektor Rudolf Germer). In Anknüpfung an die Volksparkbewegung der Jahrhundertwende wurde er als modernes Naherholungsgebiet konzipiert – als multifunktionaler Ort für Sport, Freizeit, Naturerlebnis und Kultur.

Die Arbeiten für den Volkspark begannen 1926. Die Einweihung des Parks am 22. Juni 1929 war ein überbezirkliches Großereignis. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Park bis 1938 für die deutsche „Volksgemeinschaft" umgestaltet und zum „völkischen Park“, gemäß der nun propagierten NS-Ideologie.

„Der Volkspark Rehberge am Rande des Häusermeers soll ein Wahrzeichen des neuen Berlin sein; er ist der Bevölkerung gewidmet zur Erholung nach des Tages Last und Mühe, der Jugend zur Kräftigung und Freude“. Aus: Festschrift zur Eröffnung des Volkspark Rehberge, 1929

Volkspark Rehberge mit Wassersportplatz und Uferweg Plötzensee, entworfen und ausgeführt 1922-28, Kartendruck: Rudolf Oskar Schmidt, Berlin (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Der Wedding und die soziale Frage

„In der Gerichtsstraße ist auch das neue Postamt, N 65, ein großes modernes Gebäude im Stile der neuen Sachlichkeit. Gegenüber dem Postamt ist das Krematorium, und es vergeht kaum eine Stunde am Tage, zu der der riesige Schornstein nicht raucht. Nach der Statistik steht der Wedding mit der Tuberkulose-Sterblichkeit an dritter Stelle in Berlin. Im Wedding zählt man die höchste Zahl von Totgeborenen und auch zu allen Mangelkrankheiten und allen Seuchen trägt er im starken Maße bei.“ aus: Fritz Rück, Der Wedding in Wort und Bild, 1931 

Der Wedding galt lange als der sozial am schlechtesten gestellte Berliner Bezirk. Noch im Sommer 1926 waren hier etwa 30.000 Menschen ohne Arbeit. Auch in den Folgejahren blieb der Wedding der Bezirk mit der höchsten Zahl von Arbeitslosen.

Die bezirkliche Gesundheits- und Sozialpolitik richtete sich an alle Altersgruppen. 1921 entstand das Gesundheitsamt mit ausdifferenzierten Beratungsangeboten für Tuberkulosekranke, Geschlechtskranke, Alkoholiker*innen und Behinderte, für Schwangere und für Ehepaare, sowie eine sportärztliche Beratung. 1927 wurde eine Beratungsstelle für „psychisch auffällige" Kinder und Jugendliche geschaffen. Die Ärzt*innen, die solche Innovationen entwickelten, wurden nach 1933 ins Exil getrieben oder ermordet.

Wärmehalle Lütticher Straße 8 in Berlin-Wedding, ca. 1927, Fotograf: Georg Wilke (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Moderne Bildung für alle

Die Weimarer Republik erneuerte das Schulwesen in Deutschland. Schule wurde zum Ort demokratischer staatsbürgerlicher Bildung und galt nicht mehr als Institution autoritärer Zucht. Oberstadtschulrat Wilhelm Paulsen (1975-1943) setzte sich in Berlin stark für die Umsetzung der Reformschulidee ein. Sie änderte die Organisation, Didaktik und Pädagogik. 1923 wurde dem Bezirksamt Wedding die Verwaltung der Grund- und Mittelschulen überlassen. 1924 entstand hier ein Ressort für Schule, Volksbildung und Kunst. Erst 1927 aber erhielt das neue Volksbildungsamt ein eigenes Budget.

Schul- und Bildungswesen

Im Wedding unterrichteten acht Grundschulen nach reformpädagogischen Konzepten. Eine davon – die 208. Gemeindeschule in der Gotenburger Straße – wurde seit 1923 von Walter Rieck (1885-1959) geleitet. Rieck war seit 1924 Bezirksstadtrat für Volksbildung. Von den elf „Lebensgemeinschaftsschulen“ in Berlin, die „Versuchsvolksschulen“ waren, befand sich seit 1923 eine im Wedding: die 308. Gemeindeschule auf dem Leopoldplatz.

1924 gründete die Lehrerin Clara Grunwald (1877-1943) ein Montessori-Volkskinderhaus im Wedding, das zweite in ganz Berlin, das nach dem Konzept der italienischen Ärztin Dr. Maria Montessori arbeitete. Die Nationalsozialisten schlossen alle Reformschulen 1933/34. Erst Jahrzehnte später wurde an die reformpädagogischen Versuche der 1920er Jahre angeknüpft.

Die 308. Gemeindeschule am Leopoldplatz („Barackenschule“) in einer Schülerzeichnung von 1925, (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin/Nachlass Bruno Stephan

Büchereien und Lesehallen

Die Weddinger Volksbüchereien, Volkslesehallen und Kinderlesehallen gingen erst 1926 an das Volksbildungsamt des Bezirks über. Zunächst galt es, die prekären Zustände der Räumlichkeiten und Buchbeständen zu beheben, die der Erste Weltkrieg und die folgende wirtschaftliche Not hinterlassen hatte.

Volksbibliothek in der Wattstraße 16 in Berlin-Wedding, ca. 1927, Fotograf: Georg Wilke (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Licht, Luft und Sonne

Während des Ersten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren führten Inflation und Kapitalvernichtung zu einem Zusammenbruch des Wohnungsneubaus. Zugleich verschärfte ein starker Bevölkerungszuzug nach Berlin den seit Jahrzehnten bestehenden Mangel an Wohnraum.

Zwischen 1920 und 1923 wurde die „Wohnungszwangswirtschaft“ eingeführt. Um den Mangel zu regulieren wurden Mieten gedeckelt, das Kündigungsrecht massiv eingeschränkt und den Behörden ermöglicht, bei der Verteilung des Wohnraums mitzuentscheiden. Das eigentliche Problem, der fehlende Wohnungsneubau, blieb jedoch ungelöst. Ab 1924 wurde der Gebäudealtbestand besteuert.

Dank dieser Hauszinssteuer floss „billiges“ Kapital in den Neubau. Die Zuteilung günstiger Kredite wurde an Qualitätsstandards hinsichtlich von Grundriss und Ausstattung bei gleichzeitiger Kontrolle der Miethöhe geknüpft.

Wohnungsbau in der Afrikanischen Straße in Berlin-Wedding, geplant von dem Architekten Ludwig Mies van der Rohe, ca. 1927, Fotograf: Georg Wilke (Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin)

Wohnungsneubau im Wedding

Eine Bestrebung in der Zeit der Weimarer Republik war die Versorgung breiter Teile der Bevölkerung mit preiswertem und gesundem Wohnraum. Eine neue Generation von Architekten, darunter Bruno Taut und Ludwig Mies van der Rohe, entwarfen Bauten, die im Bezirk Wedding realisiert wurden, die für den Wohnungsbau wegweisend waren und heute als Baudenkmäler gelten.

Seit 1924/25 wurden im Bezirk Wohnblöcke zunächst als Blockrandbebauungen mit großen begrünten Innenhöfen gebaut. Schnell ging die Entwicklung weiter zur konsequent offenen Zeilenbauweise – wie bei der Friedrich-Ebert-Siedlung von 1927/28. Guter, bezahlbarer Wohnraum für Arbeiterfamilien blieb dennoch vorerst Sozialutopie.

Ausblick 2031

100 Jahre nach der Grundsteinlegung des zukunftsweisenden Rathauses in der Müllerstraße plant der Bezirk Mitte, zu dem Wedding seit der Verwaltungsreform 2001 gehört, ein neues Rathausgebäude. Welche Entscheidungen trifft die Kommune heute, um den Herausforderungen der Berliner Großstadtgesellschaft gerecht zu werden?

In demokratischen Gesellschaften wurde die Durchdringung von Räumen der Selbstorganisation der Bürger*innenschaft mit Räumen der Kultur und Verwaltung zum Prinzip des Rathausbaus. Neu für Berlin ist im Fall des „Rathauses der Zukunft“ des Bezirks Mitte, dass dies von Bürger*innen eingefordert wird und sie die Formen der Nutzung aktiv formulieren. Das „Rathaus der Zukunft“ wird durch seine Lage nahe des Alexanderplatzes und des Roten Rathauses nicht nur das Selbstbild des Bezirks Mitte prägen.

Rendering des neuen Quartiers auf dem Gelände Haus der Statistik, angefertigt von Team COBE Berlin mit Studio Sörensen

Impressum

Die Ausstellung „Das Rathaus Wedding. Ein neues Rathaus für einen neuen Bezirk“ wurde von Cornelia Ganz und Thomas Irmer unter Mitarbeit von Felix Fuhg (Mitte Museum) kuratiert […]. Sigrid Schulze (Mitte Museum) hat das Projekt koordiniert.

Das Landesarchiv Berlin hat die Ausstellung durch die Bereitstellung von historischem Filmmaterial freundlich unterstützt.

Die Ausstellung wurde von der Lotto-Stiftung Berlin im Rahmen eines Kooperationsprojekts der Berliner Regionalmuseen mit dem Stadtmuseum Berlin 2019-2020 gefördert.

www.mittemuseum.de

www.grossesb.berlin

Laufzeit der Ausstellung: 23.6. bis 31.10.2021

Ausstellungsort: Mitte Museum, Pankstraße 47, 13357 Berlin

Öffnungszeiten: So - Fr von 10 - 18 Uhr