Bestickte Spruchtücher um 1900

Bestickte Überhandtücher und Wandbehänge aus der Sammlung des Museum Abtei Liesborn zeigen das Leben von Frauen um 1900 in einer Geschlechtergesellschaft, deren Einflüsse bis in die heutige Zeit reichen. Erst mit der Entwicklung des Bürgertums im 19. Jahrhundert setzte sich das Konzept von Hausfrau und arbeitendem Mann durch, das aber oft als naturgegeben und somit als unveränderlich dargestellt wird.

Die digitale Ausstellung basiert auf einem Teilbereich der Sonderausstellung "Ein kritischer Blick - Sammlungsobjekte im Kontext aktueller Diskussionen", die vom 23.12.2023 bis zum 11.02.2024 im Museum Abtei Liesborn zu sehen war.

Mit einem Klick auf die Spruchtücher oder ihre Objektinformation gelangen Sie zum jeweiligen Eintrag in unserer digitalen Sammlung bei museum-digital.

Spruchtuch: Unbekannte Künstlerin um 1900: Schmeckt daheim der Schmaus Bleibt der Mann zuhaus, 56 x 82 cm.

Lebenslang...

Die Vorstellung, dass es wesentliche Unterschiede zwischen Mann und Frau gäbe, entwickelte sich erst in den letzten drei Jahrhunderten, sie prägte jedoch das zwischenmenschliche Gefüge und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern maßgeblich. Dahinter steckte oft die Begründung der Geschlechterordnung aus der Steinzeit: die Männer als Jäger, die Frauen als Sammlerinnen und Erzieherinnen. Diese Annahme, die sich inzwischen als falsch erwiesen hat, sorgte besonders ab dem 19. Jahrhundert dafür, dass Mädchen von klein auf am Nähtisch saßen und Zurückhaltung und Disziplin lernten, während die Jungen draußen toben durften.
Die fleißigen Näharbeiten der Frauen um 1900 geben heute die seltene Möglichkeit, einen Einblick in ihren Alltag zu erhalten, denn sie gehören zu den wenigen materialisierten, kulturellen Praktiken von Frauen, die bis heute überliefert sind.

Spruchtuch: Unbekannte Künstlerin um 1900: Das Walten an dem eignen Herd, das sei der Hausfrau lieb und wert. 69,5 x 51 cm.

... mit Nadel und Faden

Kindheit

Ob in der Schule oder Zuhause, immer wurde gestickt. Dabei waren die handwerklichen Fähigkeiten nicht unbedingt Ziel dieser Erziehung. Wichtiger war für die zukünftigen Ehefrauen und Mütter, wie sie sich als Frau in der Gesellschaft zu verhalten haben – und die Handarbeit bot sich dafür an: Sie lernten sich durch das unermüdliche Sticken Fleiß an, durch das Stillsitzen Zurückhaltung und Geduld. Zugleich wurden sie vom gesellschaftlichen Leben außerhalb der eigenen vier Wände ferngehalten.

Paradoxerweise benötigten Mädchen und Frauen tagtägliche Erziehung und Selbstermahnung zu ihrer häuslichen Rolle, obwohl diese lange als von der Natur vorherbestimmt galt.


Unbekannte Künstlerin um 1900:
Uebe Früh Dich Haus zu halten! 120 x 55 cm.
 
Unbekannte Künstlerin um 1900:
Mein Herd mein Stolz, 114 x 55,5 cm.

Aussteuer

Frauen im 19. Jahrhundert erlebten zumeist eine Wartezeit vor der Heirat, die sie mit dem Erlernen von Haushaltsaufgaben und dem Anfertigen der Aussteuer verbrachten. Das Konzept der Aussteuer bzw. Mitgift verlangte von der Frau, ein gewisses Vermögen in Form von Hausrat und Gütern mit in die Ehe zu bringen, das von der Familie der Frau an den Bräutigam gegeben wurde, um einen Grundstock für den gemeinsamen Haushalt des Ehepaars zu bilden. Durch die finanzielle Hürde starteten Mann und Frau nicht gleichgestellt in die Ehe, denn die Frau musste sich die gesellschaftliche Anerkennung ‚erkaufen‘.

Auch bestickte Spruchtücher stellten besonders um 1900 einen großen Teil der Aussteuer dar. Einige Sprüche widmeten die jungen Frauen ihrem „eigenen Herd“. Damit brachten sie ihren Wunsch nach einem eigenen Hausstand zum Ausdruck und stellten Ansprüche an einen zukünftigen Ehemann.

Hausfrau und Mutter

Die Ehe war das große Ziel jeder Frau, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Für die frischgebackene Ehefrau bedeutete ihre neue Rolle ganz spezifische Vorstellungen, die sie zu erfüllen hatte. Die Bedürfnisse anderer wurden zu ihrem Lebensinhalt und das Erfüllen dieser sollte ihr eigenes Bedürfnis als Frau und Mutter sein.

Diese soziale Frauenrolle entstand erst im 18. und 19. Jahrhundert, wurde aber als naturgegebene Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau erklärt. Die Geschlechterrollen wurden dadurch beinah unangreifbar.

 
Unbekannte Künstlerin um 1900:
Das größte Glück für einen Mann, ist eine Frau die kochen kann! 111 x 58 cm.

 

Die rastlos tätige Frau...

Die gestickten Spruchtücher spiegeln die damalige Lebensrealität von Frauen wider, deren Aufgabenbereiche sich alleinig auf den Haushalt richteten. So verwundert es nicht, dass sich die meisten Motive und Sprüche mit diesem Thema befassen.
Die Vorstellung der häuslichen Ehefrau und Mutter am Nähtisch, die unentgeltlich für die Dekoration des Heims stickt, steht für eine Idylle, in der die Frau in der ihr zugeteilten Rolle aufblüht. Übersehen wird dabei, welchem Druck sie beim Jonglieren ihrer vielfältigen Aufgaben ausgesetzt war. Und statt einer wohlverdienten Pause wurde die Untätigkeit der Frau als sündhafter Müßiggang angesehen, so dass sie sich selbst in Ruhezeiten rastlos der Nadelarbeit widmete.

Spruchtuch: Unbekannte Künstlerin um 1900: Ordnung ist des Hauses Zierde. 61 x 92 cm.

... und ihre Arbeitsbereiche

Unbekannte Künstlerin um 1900:
Ein einfaches Mahl, mit Liebe gekocht,
den Mann möcht' ich sehn, der das nicht gemocht. 102,5 x 54 cm.

Kochen

Die Küche war wohl der wichtigste Ort für die ‚gute Hausfrau‘ um 1900. So wurden die meisten Spruchtücher dem Kochen gewidmet. Auch fanden die meisten Stickereien auf Überhandtüchern in der Küche ihren Platz, um Möbel zu schützen und offene Regalfächer zu verdecken.

In den Sprüchen ermahnten sich die Frauen selbst zur Freude am Kochen und zur Pünktlichkeit – denn sobald der Mann nach Hause kam, sollte sie ihn mit heißem und schmackhaftem Essen bedienen können.

Putzen

Hinter dem Glück des Eigenheims verstecken sich zahlreiche Aufgaben, die zum Alltag der scheinbar müßigen Hausfrau gehörten. Die Spruchtücher zeigen klar, womit sich die Frauen tagtäglich beschäftigten. Neben Aufgaben in der Küche gehörte das Reinhalten des Hauses zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit. Ordnung und Sauberkeit galten als wichtige Tugenden der Frau.

Unbekannte Künstlerin um 1900:
Fegen und kehren, soll man ehren. 122 x 80,5 cm.

 

Unbekannte Künstlerin um 1900: Des Wassers Kraft, Gesundheit schafft! 58 x 90,5 cm.

Wäsche

Spruchtücher dienten nicht nur als Dekorationsgegenstände, sondern fungierten auch als Abdeckungen für Nähmaschine und Bügelbrett, die die Gebrauchsgegenstände reinhielten.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte wuchsen die Ansprüche an Hygiene – dem klaren Wasser wurde dabei von den Frauen eine wichtige Rolle zugemessen, was sich vor allem in Stickereien zum Thema Wäsche zeigt.

 

Handarbeit

Wenn dann noch Zeit übrigblieb, fertigte die Hausfrau neue Stickereien oder andere Handarbeiten an. Durch die stetige Arbeit mit Nadel und Faden ab dem frühsten Kindesalter wurden viele Frauen Meisterinnen ihres Faches.

Als Dekoration hatten Stickereien zwar die Aufgabe, das Heim zu verschönern; im Salon aber waren sie unangebracht, da sie dem vornehmen Charakter nicht entsprächen. Als Kunst wurde diese ‚Freizeitbeschäftigung‘ nicht angesehen.

Erst seitdem das Sticken nicht mehr mit der alltäglichen Tätigkeit der Frauen verbunden wird, wird es als künstlerische Ausdruckweise anerkannt.

Unbekannte Künstlerin um 1900: Arbeit ist der Frauen Zier, 80,5 x 121,5 cm.

 

Ideale...

Die aufwändigen Stickereien dienten den Frauen zur Verinnerlichung der scheinbar unveränderlichen Ideale, die ihnen zugeschrieben wurden. Beim Sticken lebten sie nach den Werten des Fleißes und der Zurückhaltung. Die gestickten Sprüche auf Tüchern riefen den Frauen im Alltag ihre Normen ins Gedächtnis.
Gleichzeitig repräsentiert teilweise bis heute die handarbeitende und häusliche Frau das Bild der fürsorglichen Hausfrau. Für dieses scheinbar positive Bild zahlten die Frauen jedoch einen hohen Preis. Sie hatten nur erschwerten Zugang zum öffentlichen und politischen Leben oder wurden hiervon vollständig ausgeschlossen, was wiederum eine mangelnde Repräsentation der Frauen in der Geschichtsschreibung zur Folge hatte.

Spruchtuch: Unbekannte Künstlerin um 1900: Froh erfülle deine Pflicht, 61 x 100 cm.

... und die perfekte Hausfrau

Unbekannte Künstlerin um 1900: Heimchen am Herd, 54,5 x 65 cm.

Häuslichkeit

Die klare Rollenverteilung bestimmte, dass der Mann für das weltliche Leben verantwortlich war, während sich die Welt der Frau in den eigenen vier Wänden abspielte. Der Häuslichkeit der Ehefrau und Mutter wurde ein hoher Wert beigemessen.

Gleichzeitig wird ihr eine gewisse Doppelmoral auferlegt: Der Familie wurde eine höhere gesellschaftliche Position anerkannt, wenn die Frau nach außen zeigte, dass sie nicht arbeiten musste. Die Haushaltführung setzte aber reale Anforderungen.

Fleiß

Fleißig und dennoch demonstrativ untätig sein war das Gegensatzpaar, dass den Alltag der Frauen bestimmte. Dieser Widerspruch führte bei Frauen mitunter zu starken psychischen Belastungen.

Gelöst wurde der Dualismus unter anderem durch die ständige Handarbeit, denn das Nichtstun war allgemein verpönt. Bei Frauen, so glaubte man, könne die Untätigkeit zu einer Muße führen, die ihnen Raum zum Träumen, Nachdenken und für möglichen Protest eröffnet – das galt es als Gesellschaft zu unterbinden.

Unbekannte Künstlerin um 1900:
Fleissige Hände machen der Arbeit bald ein Ende. 115,5 x 61,5 cm.

Unbekannte Künstlerin um 1900: Immer heiter! 123 x 53 cm.

Heiterkeit

Trotz aller Aufgaben und Anforderungen an die Hausfrau sollte sie stets nach außen die frohe Seele der Familie repräsentieren. Obwohl Frauen bis heute oft als das emotionale Geschlecht gelten, war Heiterkeit die einzige Emotion, die sie zeigen durften.

Glaube

Insbesondere während der Handarbeit nahmen die Frauen eine zurückhaltende Position mit gesenktem Blick ein. Diese war nicht nur Zeichen ihres Fleißes, sondern auch ihrer Frömmigkeit. Das handwerkliche Geschick der Frauen sollte ihren starken Glauben bezeugen.

Frauen, die sich jedoch nicht ausreichend der Handarbeit widmeten und untätig waren, galten als triebhaft und wurden mit dem Sündenfall Evas verglichen. Der Glaube steht daher im Mittelpunkt vieler Motive und Sprüche der Stickereien.

Unbekannte Künstlerin um 1900: Morgengebet, 94 x 47 cm.

Unbekannte Künstlerin um 1900:
Zwei Lebenstützen brechen nie, Gebet und Arbeit heissen sie. 53 x 74,5 cm.

 

Und heute?

In der Ausstellung "Ein kritischer Blick - Sammlungsobjekte im Kontext aktueller Diskussionen" (23.12.2023 – 11.02.2024 Museum Abtei Liesborn) haben wir die Besucherinnen und Besucher zur Teilnahme eingeladen. Sie haben uns geantwortet, welchen Spruch sie heute auf Handtücher sticken würden, wenn diese ihre Ideale und ihren Lebensinhalt widerspiegeln sollen. Hier ist eine Auswahl ihrer Antworten.

Nur tote Fische schwimmen gegen den Strom.
Wer sich nicht wehrt, endet am Herd.
Happy wife, happy life.
Sei. Ein. Mensch.
Nur wer sich mit dem Mann die Arbeit teilt, wird dann auch glücklich und alt.

Und wie würde Ihr Spruch lauten?

Impressionen aus der Ausstellung "Ein kritischer Blick"

Neben den ausgestellten Spruchtüchern waren in der Sonderausstellung "Ein kritischer Blick" (23.12.2023–11.02.2024) im Museum Abtei Liesborn ausgewählte Szenen der Serie "Haus Kummerveldt" zu sehen, die vom Leben und der Emanzipation der fiktiven Adeligen Luise von Kummveldt erzählt. Außerdem lud eine kleine Leseecke zum Stöbern und Weiterbilden ein.

 

Impressum

Die digitale Ausstellung wird herausgegeben vom:

Museum Abtei Liesborn
Abteiring 8
59329 Wadersloh-Liesborn
Tel. 02523 - 98 24 0
E-Mail: info@museum-abtei-liesborn.de
Website: https://www.museum-abtei-liesborn.de/

Konzept und Texte:
Mara Woltering
Wissenschaftliche Volontärin im Museum Abtei Liesborn
mara.woltering@kreis-warendorf.de
Tel. 02523 - 98 24 29

Träger:
Kreis Warendorf
Der Landrat
Waldenburger Straße 2
D-48231 Warendorf
Telefon: (02581) 53-0
Telefax: (02581) 53-5199
E-Mail: verwaltung@kreis-warendorf.de

Der Kreis Warendorf ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er wird vertreten durch den Landrat Dr. Olaf Gericke.

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