Berliner Uhren
Meisterleistungen der Mechanik und des Kunsthandwerks
Das Themenportal bietet für interessierte Laien, Sammler und Fachleute eine digitale Plattform zu den Berliner Uhren, die erstmals als eine eigene Gruppe mit spezifisch regionalen und kunsthandwerklichen Eigenschaften klassifiziert, beschrieben und bewertet werden. Die hier präsentierte Auswahl sowohl ausgestellter als auch deponierter oder schwer zugänglicher Werke aus verschiedenen Museen soll in Zukunft durch weitere Objekte aus anderen öffentlichen und privaten Sammlungen ergänzt werden. Auf diese Weise entstehen Informationsquellen für die Allgemeinheit und Möglichkeiten zum fachlichen Austausch.
In der Residenzstadt Berlin wurden ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedeutende Uhren hergestellt. Vor allem diejenigen mit mechanischen Musikspielwerken genossen europaweit einen exzellenten Ruf. Allerdings waren die Grundlagen für eine solche Entwicklung nicht von vornherein gegeben. Im Gegensatz zu Augsburg oder Nürnberg gehörte Berlin nicht zu den deutschen Uhrenzentren und hatte zudem mit den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu kämpfen. Mit dem 1685 erlassenen Toleranzedikt von Potsdam erhoffte sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) den Zuzug von gut ausgebildeten Fachleuten. Unter den protestantischen Glaubensflüchtlingen, besonders aus Frankreich, gab es dann auch etliche spezialisierte Kunsthandwerker, die sich in Berlin niederließen. Doch einer 1686 im kurfürstlichen Auftrag agierenden geheimen Gesandtschaft aus Brandenburg misslang es, Uhrmacher aus Genf (Schweiz) abzuwerben. So kamen sie zunächst nur vereinzelt, wie der 1702 zum „Großuhrmacher bei der Domkirchuhr“ in Berlin ernannte Johann Jacob Berlingart. Er war „wegen der großen Teuerung in der Schweiz von dort weggegangen (…)“.
Eine systematische Förderung der Berliner Uhrenherstellung gelang erst unter Friedrich II. von Preußen (1712-1786). Er betrieb eine Wirtschaftspolitik unter merkantilistischen Gesichtspunkten: Rohstoffe sollten möglichst im Inland bezogen werden, Importe von Luxuswaren wurden verboten, Ansiedlungen von Manufakturen finanziell und durch zahlreiche Privilegien unterstützt. So ernannte er beispielsweise 1755 den aus Basel stammenden Großuhrmacher Johann Rudolph Fischer zum Hofuhrmacher in Potsdam. Der Monarch ließ ihm für seine Fabrik ein Haus bauen und sicherte Zoll- und Akzisefreiheit für Uhrenverkäufe im In- und Ausland zu. Mit eigenem Geld und der Zusage von Privilegien für Uhrmacher und Uhrenteilezulieferer trieb der König die Gründung der Berliner Uhrenfabrik voran, die von 1765 bis 1769 der berühmte Schweizer Uhrmacher Abraham-Louis Huguenin leitete. Auf diese Weise wurde die Basis für den Wissenstransfer ausländischer Uhrmacher nach Berlin geschaffen. Die Fabrik zog weitere hervorragende Uhrmacher ins Land, wie Christian Ernst Kleemeyer aus Sachsen oder Johann Christian Möllinger aus der Pfalz.
Friedrich II. selbst erwarb viele, eigens nach seinem Geschmack gebaute Uhren zur Ausstattung seiner Schlösser und als repräsentative Staatsgeschenke. Die Gehäuse entstanden nach Entwürfen der Hofdekorateure und wurden in edlen Materialien umgesetzt. Für Musikspieluhren hegte der König eine besondere Vorliebe und förderte diese mit immensem Aufwand. So entwickelte sich unter seiner Regentschaft deren Produktion als eigenständiger Wirtschaftszweig in höchster Qualität. Friedrich Nicolai rühmte im zweiten Band seiner „Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam (…)“ aus dem Jahr 1786 (S. 579f.): „Spieluhren, sowohl Harfen= als Flötenuhren, welche vermittelst Walzen spielen, werden in Berlin in so großer Vollkommenheit gemacht, als sonst nirgends, weder in Deutschland noch ausser Deutschland; daher diese Industrie Berlin vorzüglich eigen ist. Sowohl in Absicht auf den schönen Ton, die Richtigkeit der Mensur, und die feinsten musikalischen Delikatessen, bleibt in den besten Werken dieser Art für einen Künstler nichts zu verlangen übrig. Es werden Bravurarien und ganze Flötenkoncerte auf solche Uhren gesetzt, welche mit größter Nettigkeit und mit Ausdruck der kleinsten musikalischen Zierlichkeiten gespielt werden. Schleifen der Töne, die Doppelzunge der Flöte, Triller, Fermaten, alles wird so sauber vorgetragen, daß man einen Virtuosen auf der Flöte zu hören glaubt. Die grosse Geschicklichkeit hiesiger Künstler, in Bildschnitzerey, Bronzirung, Vergoldung u.s.w. hat diesen Uhren auch eine äussere Schönheit gegeben, daß sie dem Auge so angenehm sind, als dem Ohre."
Uhren sind komplexe Werke. Der Uhrmacher war meist als Generalauftragnehmer für die Herstellung des Gehäuses und der Mechanik auf das Zusammenspiel mit anderen spezialisierten Kunsthandwerkern und Instrumentenmachern angewiesen. Dementsprechend hoch war der Preis für eine solche Uhr, so dass sich anfangs die Käuferschaft auf das Herrscherhaus, den Adel und das reiche Bürgertum beschränkte. Mit der wachsenden Notwendigkeit, für die öffentlichen Belange des Handels, Verkehrs oder Militärs die genaue Uhrzeit zu kennen, stieg aber der Bedarf an preiswerten Uhren. Mit den zunehmend arbeitsteilig organisierten Produktionsmethoden konnte man dieses Bedürfnis mit einheimischen Zeitmessern befriedigen. Spätestens um 1800 setzte eine „Demokratisierung“ des Uhrengebrauchs ein. Taschenuhren waren in unterschiedlichen Qualitäten und Preisen zu erwerben, Dielen- und Zimmeruhren ebenso. Sie zogen allmählich in gutsituierte Bürgerhaushalte ein. Im 19. Jahrhundert wurden in Berlin auch viele Turmuhrwerke und Präzisionspendeluhren für wissenschaftliche Zwecke gebaut. So haben sich noch heute an unterschiedlichen Orten des ehemals zu Brandenburg-Preußen gehörenden Gebietes viele Beispiele der Berliner Uhrmacherkunst erhalten. Es lohnt sich, diese öffentlich zu präsentieren. Da den Museen oft räumliche Grenzen gesetzt sind und einige Uhren sich in Privatbesitz befinden, ist die Zugänglichkeit zu diesen Schätzen beschränkt. Mit dem Themenportal bietet sich eine Möglichkeit, die Objekte auf digitalem Weg vorzustellen und ihre Besonderheiten zu erläutern.
Auf Initiative der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) begann 2014 ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen aus der Stiftung Stadtmuseum Berlin, dem Kunstgewerbemuseum SMB PK, Musikinstrumenten-Museum SIMPK und der SPSG, das Phänomen „Berliner Uhren“ zu erforschen. Es erfolgte nach einer ersten Bestandssichtung und Kontaktaufnahme zu weiteren Museen eine systematische Aufnahme einzelner Objekte nach einem einheitlichen Standard. 2020 gelang es, auf Antrag des Berliner Stadtmuseums und Dank einer Förderung des Forschungs- und Kompetenzzentrums Digitalisierung Berlin (digiS), rund 40 Uhren für das Themenportal zu beschreiben, zu kommentieren sowie aussagekräftige Fotos der einzelnen Objekte und ihrer Einzelteile anzufertigen. Das Portal ist darauf angelegt, durch weitere Beispiele anderer Sammlungen erweitert zu werden. Allen bisher beteiligten Institutionen und Partnern (siehe Impressum) sei hier für ihre vertrauensvolle Kooperation gedankt.
2020-12-08